COVID-19: Humanitäre Bedürfnisse in Libyen haben sich verschärft
- Über 37.000 Menschen in Libyen wurden positiv auf COVID-19 getestet. Das ist ein Anstieg von 59% in den letzten vier Wochen. IRC warnt vor den verheerenden Auswirkungen, die eine weitere Verbreitung des Coronavirus auf die Menschen im Land haben könnte.
- Die Eskalation des Konflikts in den letzten Monaten hat die immensen humanitären Bedürfnisse in Libyen verschärft. Ein sofortiger Waffenstillstand ist dringend erforderlich. Das Land ist zutiefst gespalten. Nur ein politischer Prozess unter Führung der Vereinten Nationen, in dem die Sicherheit und Zukunft der Libyer*innen, Migrant*innen, Geflüchteten und Asylsuchenden im Mittelpunkt stehen, kann dauerhaften Frieden bringen.
- Die Bedingungen für Migrant*innen und Geflüchtete, die in Libyen festsitzen, müssen verbessert werden. Es müssen Alternativen zu Inhaftierungen gefunden werden, legale Migrationswege müssen offen stehen.
Country facts
- Bevölkerung: 6,8 Millionen
- Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen: 950.000
- Position im Index der menschlichen Entwicklung: 110 von 189
IRC response
- Beginn der Aktivitäten: 2016
Die politische Lage in Libyen ist extrem instabil. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Kämpfen, an denen auch zahlreiche Milizengruppen, die teils von ausländischen Akteure unterstützt werden, beteiligt sind. Die Wirtschaft steht vor dem Kollaps. Seit April 2019 wurden allein in Tripolis über 90% der Bewohner*innen aufgrund der sich verschlechterten Sicherheitslage vertrieben. Dennoch bleibt das nordafrikanische Land wichtiger Ausgangspunkt für Migrant*innen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Diese Menschen sind aufgrund ihres Status und ihrer Versorgungslage besonders gefährdet. International Rescue Committee engagiert sich in Libyen vor allem im Bereich Gesundheit und unterhält verschiedene Einrichtungen, die zur Basisgesundheitsversorgung. Darüber hinaus bietet es Schutzprogramme für besonders gefährdete Menschen vor Ort an.
Im Jahr 2011 beendete eine gewaltsame Revolution die 42-jährige Herrschaft des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi. Drei Jahre später brach ein Bürgerkrieg aus. Seitdem versinkt das nordafrikanische Land mit großem Ölvorkommen im Chaos. Es herrscht allgemeine Gesetzlosigkeit. Gewalttätige Milizen kämpfen um die Macht. Die international anerkannte Regierung unter Präsident al-Sarradsch kontrolliert dabei nur ein sehr begrenztes Gebiet.
Im April 2019 eskalierte der Konflikt. Auseinandersetzungen zwischen den libyschen Konfliktparteien erreichten Anfang 2020 einen neuen Höhepunkt. Dabei kam es auch zu einer verstärkten einseitigen Einmischung verschiedener ausländischer Akteure, durch die die Bedrohung für Zivilist*innen vor Ort drastisch gestiegen ist.
Öffentliche Dienstleistungen wie eine angemessene Gesundheitsversorgung, ein funktionierendes Bildungssystem und Bankenwesen sowie eine zuverlässige Energieversorgung gibt es nicht. Die Gefahr ausufernder Gewalt ist allgegenwärtig.
Trotz großer Unsicherheit machen sich weiterhin Geflüchtete und Migrant*innen auf die Reise nach oder durch Libyen, um von dort weiter nach Europa zu kommen. Derzeit sind mehr als 950.000 Menschen in Libyen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Einige haben einen legalen Status, andere sind illegal im Land. Unzählige riskieren ihr Leben, um mit Schleppern nach Europa zu gelangen. Viele von ihnen werden von der libyschen Küstenwache zurück nach Libyen gebracht, wo sie anschließend oftmals in Haftanstalten festgehalten werden.
Nach wie vor können die wichtigsten öffentlichen Versorgungsleistungen nicht gewährleistet werden: Gesundheits- und Bildungswesen, Arbeitsmarkt, Finanzdienstleistungen und soziale Sicherheitsnetze sind nicht vorhanden oder für viele nicht zugänglich. Zahlreiche Gesundheitszentren sind teilweise oder vollständig geschlossen worden, da es an Personal und Medikamenten mangelt. Mehr als eine Million Menschen haben deshalb inzwischen keinen Zugang mehr zu medizinischer Grundversorgung. Diese wiederherzustellen muss deshalb eine der obersten Prioritäten sein.
Vor Beginn der jüngsten Eskalation im April 2019 wuren in Libyen über 56.000 Migrant*innen, Geflüchtete und Asylsuchende registriert. UNHCR schätzt, dass etwa 60% von ihnen besonders gefährdet sind. Oft haben sie keinen Zugang zu öffentlicher Infrastruktur und tragen ein besonders hohes Risiko, ausgebeutet zu werden. Besonders dramatisch sind dabei die Lebensbedingungen der etwa 5.700 in staatlichen Haftanstalten festgehaltenen Migrant*innen.
International Rescue Committee hilft Menschen, die aufgrund gewaltsamer Konflikte oder Katastrophen entwurzelt wurden, zu überleben und wieder Kontrolle über ihre Zukunft zu erlangen.
In Libyen ist IRC seit September 2016 tätig und damit eine der wenigen internationalen Organisationen, die sich vor Ort engagieren. International Rescue Committee bietet lebensrettende Gesundheitsfürsorge und Schutz für Gemeinschaften, die von chronischer Instabilität und gewaltsamen Konflikten betroffen sind. IRC unterhält Büros in den Städten Tripolis, Misrata und Sirte und hat zudem ein Team in Tawergha. Unterstützt werden die Programme von IRC-Mitarbeiter*innen in Tunis.
International Rescue Committee engagiert sich in Libyen besonders im Gesundheitswesen:
- Versorgung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, Sexualaufklärung insbesondere in Bezug auf sexuell übertragbare Krankheiten sowie Beratung und Unterstützung bei psychischen Erkrankungen;
- Sicherstellung der lebensnotwendigen Gesundheitsversorgung an schwer zugänglichen Orten im Westen Libyens;
- Bereitstellung dringend benötigter Medikamente für Gesundheitszentren zur Erstversorgung;
- Unterstützung beim Transfer von Patienten an medizinische Spezialisten;
- Wiederinstandsetzung von Gesundheitseinrichtungen, die während des Bürgerkriegs zerstört oder beschädigt wurden;
- Einsatz erfahrener Sozialarbeiter*innen, die in besonders betroffenen Konfliktregionen psychosoziale Unterstützung anbieten;
- Enge Kooperation mit UNHCR und dem Libyschen Roten Kreuz, um Migrant*innen über den vereinbarten Transitmechanismus aus libyschen Haftzentren nach Ruanda und Niger zu bringen.
Um die Systeme vor Ort nachhaltig zu stärken, helfen wir vor allem beim Aufbau von Kapazitäten und bilden Mitarbeiter*innen von IRC als auch dem libyschen Gesundheitsministerium weiter, damit langfristig Behandlungen bereitgestellt werden können.
IRC plant eine Ausweitung der Programme in den Bereichen Gesundheit und Schutz, um noch mehr Libyer*innen in Not, sowie Geflüchtete und Migrant*innen versorgen zu können.
Es besteht unter anderem Bedarf für den Auf- und Ausbau weiterer Einrichtungen zur medizinischen Grundversorgung und Entwicklungszentren für Gemeinden.
Der Bedarf an Hilfe in Libyen ist groß. Doch das geringe Interesse potentieller Geldgeber als auch die instabile Sicherheitslage erschweren die Ausweitung der Aktivitäten von International Rescue Committee.
Seit Beginn des Jahres wurde deutlich, dass sich die humanitäre Lage in Libyen verschärft und immer mehr Menschen in Not geraten. Die USA, Europa als auch regionale Akteure müssen vom Konflikt betroffene Libyer*innen, Migranten*innen, Geflüchtete und Asylsuchende besser unterstützen.
Auch die Einrichtung einer koordinierten Seenotrettung ist dringend erforderlich. Die EU muss sicherstellen, dass Völkergewohnheitsrecht, wonach Menschen, die in Seenot geraten, gerettet werden müssen, beachtet wird. Darüber hinaus muss die Sicherheit und das Wohlergehen der auf See aufgegriffenen Personen auch nach ihrer Rückkehr nach Libyen gewährleistet sein.