International Rescue Committee erstellt jedes Jahr die Emergency Watchlist. Die Ranglist zeigt die Länder auf, in denen sich humanitäre Krisen im nächsten Jahr am stärksten verschlimmern oder neu entstehen könnten. Der Bericht hilft IRC seit über einem Jahrzehnt dabei, schneller auf Krisen zu reagieren und dringend benötigte Hilfe zu leisten. In den letzten Jahren hat er zwischen 85 und 95 Prozent der größten Krisen präzise vorhergesagt und damit unsere Arbeit maßgeblich geleitet. 

Die Watchlist 2025 zeigt eine Welt, die zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät. 20 Länder, in denen nur elf Prozent der Weltbevölkerung leben, sind auf 82 Prozent der globalen humanitären Hilfe angewiesen.

Die Watchlist listet die zehn Länder auf, in denen sich humanitäre Krisen im Jahr 2026 am wahrscheinlichsten verschlechtern und nennt zusätzlich zehn weitere gefährdete Länder, ohne sie einzustufen.

Weitere Länder auf der Watchlist (ohne Ranking):
Afghanistan, Kamerun, Tschad, Kolumbien, Niger, Nigeria, Somalia, Syrien, Ukraine, Jemen

7 Fakten: Die humanitäre Lage 2026 in Zahlen 

  • Weltweit gibt es so viele bewaffnete Konflikte wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg – die Hälfte davon in Afrika.
  • 1.000 Menschen wurden in den ersten 6 Monaten 2024 getötet, während sie medizinische Versorgung suchten – 60-mal mehr als im gleichen Zeitraum 2023
  • Angriffe auf Schulen haben um mehr als 50 Prozent zugenommen
  • 239 Millionen Menschen weltweit sind auf humanitäre Hilfe angewiesen
  • 117,3 Millionen Menschen wurden weltweit zur Flucht gezwungen
  • Die weltweite Finanzierung humanitärer Hilfe ist von 2024 auf 2025 um die Hälfte eingebrochen – auch in Deutschland wurden die Mittel für 2025 und 2026 gegenüber 2024 um rund 50 Prozent gekürzt.
  • 83 Prozent der USAID-Hilfsprogramme wurden bis März 2025 eingestellt – darunter lebenswichtige Gesundheitsprogramme

 

Was bedeutet die neue Welt(un)ordnung?

Die regelbasierte internationale Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg zerfällt und an ihre Stelle tritt eine neue globale (Un)ordnung. Drei Entwicklungen prägen dieses neue System und verschärfen die Krisen in diesen Ländern:

  • Mehr Rivalen, mehr Risiken: Immer mehr geopolitische und regionale Akteure ringen um Einfluss. Zugleich führt wachsender Nationalismus dazu, dass politische Kräfte nationale Interessen immer enger fassen. Das Ergebnis: eine zunehmend unberechenbare Welt, in der Rivalität und Konkurrenz zum Alltag gehören.
  • Bündnisse im Wandel: Traditionelle Bündnisse verlieren an Bedeutung. Stattdessen wählen Regierungen und bewaffnete Gruppen zunehmend mehrere Partner zugleich – ein Vorgehen, das als „Multialignment“ bezeichnet wird. Sie sondieren gewissermaßen den Markt und suchen sich jene Unterstützer*in, die ihnen die besten Bedingungen bieten, etwa Waffen, Investitionen oder diplomatischen Schutz.
  • Kurzfristige Machtdeals: Statt langfristiger Zusammenarbeit auf Basis gemeinsamer Regeln setzen Staaten zunehmend auf kurzfristige, machtorientierte Einzelabsprachen. Im Fokus stehen schnelle Vorteile und bilaterale Deals, die oft in Kategorien von „Gewinner*innen“ und "Verlierer*innen“ gedacht werden. Das schwächt internationale Normen und Institutionen.

Was kann die Bundesregierung tun?

Die Herausforderungen der neuen globalen Unordnung sind lösbar. Doch ohne politischen Willen lassen sich keine echten Veränderungen erreichen, die Menschen in den Ländern auf der Watchlist schützen. Die Bundesregierung muss handeln. Dazu gehören unter anderem folgende Schritte:

Humanitäre Diplomatie und Friedensbemühungen stärken

Die Bundesregierung sollte ihre humanitäre Diplomatie konsequent ausbauen, ressortübergreifend abstimmen und sicherstellen, dass konfliktbetroffene Menschen geschützt werden. Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dürfen nicht straflos bleiben: Waffenexporte sollten beim Risiko, dass sie bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht eingesetzt werden, und internationale Gerichte der UN gestärkt werden. Deutschland sollte gemeinsam mit den EU-Friedensinitiativen voranbringen und auch einflussreiche Akteure (u.a.Türkei, Vereinigte Arabische Emirate und China) einbeziehen. Zivilgesellschaftliche Gruppen und vor allem Frauen müssen in allen diplomatischen Prozessen gleichberechtigt eingebunden werden. 

Haushaltsmittel dort einsetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden:

Öffentliche Entwicklungsfinanzierung (ODA), inklusive humanitärer Mittel müssen priorisiert in fragile und konfliktbetroffene Staaten fließen. Dabei sollen bewährte, wirkungsstarke Ansätze wie Bargeldhilfen, präventive Gesundheitsmaßnahmen sowie Partnerschaften mit lokalen Organisationen finanziell gestärkt werden. 

Vorausschauende Maßnahmen zur Klimaanpassung ausbauen

Die Bundesregierung sollte die Widerstandskraft von klima- und krisenanfälligen Staaten stärken, indem ein signifikanter Anteil der Klimafinanzierung in diese Länder fließt, inklusive Unterstützung bei der Umsetzung nationaler Anpassungspläne. Vorausschauende humanitäre Maßnahmen, wie z. B. Frühwarnsysteme und präventive Hilfe, müssen in Krisenkontexten systematisch verankert werden, um Schäden zu begrenzen und die Resilienz von Gemeinschaften zu erhöhen.

Unsere Analyse

Der Bericht basiert auf einem umfassenden, mehrstufigen Analyseverfahren. Dafür werden 74 qualitative und quantitative Variablen aus 14 verschiedenen Datensätzen ausgewertet, ergänzt durch Erfahrungswerte aus der IRC-Arbeit in über 40 Ländern weltweit.

So wird ermittelt, welche Länder in die Watchlist aufgenommen und wie sie eingestuft werden. Grundlage dafür sind Faktoren wie die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß von bewaffneten Konflikten, wirtschaftlicher Instabilität, Klimakrisen und anderen humanitären Herausforderungen.

Eine detaillierte Beschreibung der Methodik findest du hier.