Der Klimawandel verursacht nicht nur neue humanitäre Krisen, sondern verschärft auch bestehende Krisen in bereits gefährdeten Gesellschaften auf der ganzen Welt. Der Weltklimarat IPCC warnt, dass eine drastische Senkung der Treibhausgasemissionen erforderlich ist, um einen globalen Temperaturanstieg und die damit verbundenen katastrophalen Folgen zu verhindern.

„Die eh schon am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen der Welt sind von der Klimakrise am stärksten betroffen“, erklärt David Miliband, Geschäftsführer und Präsident von IRC. „Um die schlimmsten Klima- und Extremwetterkatastrophen einzudämmen, müssen die Länder, die diese am stärksten zu verantworten haben, drastische Maßnahmen ergreifen, um die Emissionen zu reduzieren.“

Alle Länder auf der folgenden Liste haben etwas gemeinsam: Obwohl sie selbst kaum zu den Treibhausgasemissionen beitragen, sind sie besonders von den Folgen der globalen Erwärmung betroffen. Sie stehen alle auf der IRC-Watchlist der Länder, die im Jahr 2023 am ehesten von einer humanitären Krise betroffen sein werden.

Erfahren Sie, welche 10 Länder nach Ansicht der Forscher*innen am stärksten von einer Klimakatastrophe bedroht sind.

Woher wissen wir, welche Länder am meisten von einer Klimakatastrophe bedroht sind?

Um herauszufinden, welche Länder am stärksten von Klimakatastrophen bedroht sind, haben International Rescue Committee (IRC) und World Resource Institute (WRI) untersucht, wo Klimakrisen mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten werden und ob die betroffenen Länder in der Lage sind, angemessen auf diese zu reagieren und gefährdete Gemeinschaften zu schützen. 

Das Ergebnis zeigt: Länder, die wenig auf Klimaveränderungen vorbereitet sind und eine hohe Fragilität aufweisen, sind am stärksten von Klimakatastrophen bedroht.  

Die Handlungsfähigkeit, ausreichend auf Klimaveränderungen reagieren zu können, wird in zwei Stufen gemessen. Zunächst wird das Maß der Bedrohungen, die der Klimawandel für ein Land darstellt, untersucht. Weiter wird die Fähigkeit der Regierung untersucht, die eigene Bevölkerung vor Klimakatastrophen zu schützen und ihre Widerstandsfähigkeit gegen diese aufzubauen. Unter Fragilität versteht man die Wahrscheinlichkeit, dass ein Land zusammenbricht und die Regierung infolgedessen nicht mehr in der Lage ist, zu regieren oder ihrer Bevölkerung Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. 

Die katastrophalen Folgen des Klimawandels sind bereits da, denn häufigere und intensivere Naturkatastrophen und extreme Wetterbedingungen zerstören Lebensgrundlagen, verschärfen gewaltsame Konflikte und zwingen Menschen zur Flucht. Nachfolgend sind 10 Länder aufgeführt, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind, obwohl sie nur wenig zu seiner Entstehung beigetragen haben. Zusammen tragen diese Länder nur 0,28 % zu den weltweiten CO2-Emissionen bei, obwohl sie 5,16 % der Weltbevölkerung ausmachen. 

10 Länder mit dem höchsten Risiko einer Klimakatastrophe

Somalia

Der Klimawandel hat sich schon jetzt verheerend auf Somalia ausgewirkt: die Dürre und extreme Ernährungsunsicherheit haben sich verschlimmert. Die politische Instabilität des Landes erschwert außerdem die Bewältigung der Klimakrise und den Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Bis Mitte 2023 werden schätzungsweise acht Millionen Somalier*innen - fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes - von einer krisenhaften oder sogar noch akuteren Ernährungsunsicherheit betroffen sein.

Woman standing in front of a tent
„Ich habe meine Heimat wegen der Dürre verlassen“, sagt Bistra*, die jetzt im Torotorow-Lager für Binnenvertriebene lebt. „Ich habe ein Jahr hier im Lager verbracht. Wasser und Lebensmittel sind knapp.“
Foto: Martha Tadesse/IRC

Syrien

Der mehr als ein Jahrzehnt anhaltende Krieg in Syrien hat die Fähigkeit des Landes, auf Krisen zu reagieren, untergraben. Hinzukommend hat die schwere Wirtschaftskrise 90 % der Syrer*innen unter die Armutsgrenze getrieben. Die extreme Dürre und das Erdbeben vom Februar 2023 nahe der syrisch-türkischen Grenze, von dem Hunderttausende Syrer*innen noch immer betroffen sind, haben deutlich gemacht, wie schwer es in einem fragilen Staat ist, auf Notfälle zu reagieren.

Das Erdbeben in der Nähe der syrisch-türkischen Grenze betraf Gemeinden, in die viele Menschen nach ihrer Vertreibung umgesiedelt worden waren. Die hohe Fragilität des Staates hat bei der Bereitstellung von Hilfe für die betroffenen Gemeinschaften zu enormen Schwierigkeiten geführt.
Foto: Valerio Muscella/IRC

Die Demokratische Republik Kongo

Die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo sind mit langanhaltenden Konflikten, wirtschaftlichen Problemen und den Ausbruch von Krankheiten konfrontiert. Mehr als 100 bewaffnete Gruppen kämpfen um die Kontrolle im rohstoffreichen Osten des Landes und greifen dabei sehr häufig auch Zivilist*innen an. Große Krankheitsausbrüche - darunter Masern, Malaria und Ebola - stellen eine ständige Bedrohung für das schwache Gesundheitssystem dar und gefährden viele Menschenleben. 

Diese vielfältigen Faktoren haben die Fähigkeit des Landes geschwächt, sich auf Klimakatastrophen vorzubereiten und die humanitäre Hilfe erschwert. Dabei ist die Bevölkerung zunehmend mit Überschwemmungen und Ernährungsunsicherheit konfrontiert. 

Afghanistan

Seit die Taliban im Jahr 2021 de facto die Macht in Afghanistan übernommen haben, ist das Land zunehmend instabil. Der Zusammenbruch ausländischer Hilfen und der wirtschaftliche Zusammenbruch verschärfen die Armut. Jetzt kommt auf die afghanische Bevölkerung ein drittes Jahr der Dürre zu, während gleichzeitig starke Überschwemmungen in einigen Teilen des Landes die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigen und die Menschen aus ihren Häusern vertrieben haben.

Riaz bringt ihren 2-jährigen Enkel Mazhda in eine mobile Gesundheitsstation, wo er auf Anzeichen von Unterernährung untersucht wird. Fast 23 Millionen Afghan*innen - mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes - sind von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen.
Foto: Oriane Zerah für IRC/ECHO

Jemen

Der jahrelange Konflikt hat in Jemen zu einer Wirtschaftskrise und einem hohen Maß an Fragilität geführt. Bis Ende 2022 benötigten 17 Millionen Menschen in Jemen Nahrungsmittelhilfe, während 1,3 Millionen Schwangere und Stillende und 2,2 Millionen Kinder wegen Unterernährung behandelt werden mussten. Der Klimawandel hat die Wüstenbildung und die Dürre im Lande verschlimmert.

Tschad

Auf dem Notre Dame-Global Adaptation Initiative Index, der die Aussetzung, Empfindlichkeit und Fähigkeit eines Landes zur Anpassung an die negativen Auswirkungen des Klimawandels untersucht, rangiert der Tschad als das am stärksten durch den Klimawandel gefährdete Land der Welt. Von den Überschwemmungen Ende 2022 waren mehr als 1 Million Menschen betroffen, und eine Wirtschaftskrise hat zusätzlich zu einer weit verbreiteten Ernährungsunsicherheit geführt. Wachsende Konflikte und Spannungen im Zusammenhang mit dem Militärischen Übergangsrat des Landes haben die Fortschritte beim Aufbau der Klimaresilienz eingeschränkt.

Südsudan

Der Südsudan, ein Land mit hoher Fragilität und geringen Fähigkeiten, auf Folgen des Klimawandels zu reagieren, ist zunehmend anfällig für Klimakatastrophen. Der Bürgerkrieg, der das Land erschütterte, endete zwar offiziell im Jahr 2018, aber lokale Konflikte sind nach wie vor weit verbreitet. Um die südsudanesische Bevölkerung vor Klimaschocks wie den schweren Überschwemmungen zu schützen, von denen Ende 2022 über 900.000 Menschen betroffen waren, ist eine bessere Klimaresilienz erforderlich. 

Abuk hält den vierjährigen Nyirou vor ihrem überfluteten Haus in Nord-Bahr El Ghazal, Südsudan. Nachdem Nyirou in einer IRC-Klinik wegen Unterernährung behandelt worden war, erklärte Abuk: „Selbst wenn jemand etwas anbaut, kann es sein, dass die Ernte wächst, aber dann zerstört wird.“
Foto: Adrienne Surprenant/IRC

Zentralafrikanische Republik

Die Konkurrenz um die politische Macht und die natürlichen Ressourcen hat die Zentralafrikanische Republik (ZAR) destabilisiert. Schwere Überschwemmungen bedrohen die Sicherheit und Gesundheit der Bewohner*innen der Zentralafrikanischen Republik, insbesondere derjenigen, die in Lagern für Binnenvertriebene leben, da sie zur Verbreitung von durch Wasser übertragenen Krankheiten wie Cholera beitragen. Andere Krankheiten wie Malaria, Meningitis und Affenpocken belasten ebenfalls das geschwächte Gesundheitssystem der ZAR.

Nigeria

Von den Überschwemmungen Ende 2022 waren 2,5 Millionen Menschen in Nigeria betroffen, und die landwirtschaftlichen Flächen des Landes wurden stark beschädigt. Bis Mitte 2023 werden schätzungsweise 25 Millionen Nigerianer*innen mit einem hohen Maß an Ernährungsunsicherheit konfrontiert sein. Politische Spannungen und weit verbreitete Konflikte haben zur Fragilität des Landes beigetragen und erschweren die Möglichkeiten auf Klimakatastrophen zu reagieren. 

Äthiopien

Mehr als 24 Millionen Äthiopier*innen sind von einer starken Dürre betroffen. Diese Zahl wird voraussichtlich noch steigen, da das Land in die sechste erfolglose Regenzeit in Folge eintreten wird. Zahlreiche Konflikte in der Region und politische Instabilität haben die humanitäre Hilfe im Land unterbrochen und es den Behörden erschwert, die Auswirkungen des Klimawandels in Äthiopien zu bewältigen. 

Wie geht IRC mit der Klimaanfälligkeit um?

IRC unterstützt jedes der auf dieser Liste aufgeführten Länder, die zu den mehr als 40 krisenbetroffenen Ländern gehören, in denen wir weltweit tätig sind. Der Aufbau von Klimaresilienz und die Unterstützung betroffener Gemeinden angesichts von Klimakrisen ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. 

IRC arbeitet mit Menschen in gefährdeten Regionen zusammen, um die Vorbereitung und Widerstandsfähigkeit zu verbessern, indem es Klimagefahren kartiert und Frühwarnsysteme entwickelt. Außerdem unterstützen wir lokale Bemühungen um die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, den Schutz von Wasser und die Schulung von Menschen in der Entwicklung nachhaltiger Lebensgrundlagen. 

Wir setzen uns für politische Veränderungen ein, die den Ausstoß von Treibhausgasen verringern und die Auswirkungen des Klimawandels auf die gefährdeten Gemeinden der Welt abmildern. Wir führen auch Forschungsarbeiten zum Klimawandel durch und setzen uns für den Einsatz evidenzbasierter Lösungen ein, um die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel zu stärken. 

Wir haben auch einen Klimaaktionsplan für unsere eigene Organisation entwickelt und uns verpflichtet, bis 2050 „Net Zero" zu erreichen - unsere Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken.