Fredrick verbrachte einen Großteil seiner Kindheit in einem Flüchtlingslager in Uganda. Seine Familie musste 1994 wegen des Völkermords in Ruanda aus ihrer Heimat fliehen. Sie blieben im Flüchtlingslager bis sie 2012 ins Resettlement-Programm in Boise, Idaho, aufgenommen wurden. Fredrick arbeitet für IRC mit jungen Menschen zusammen, die eine ähnliche Geschichte haben wie er selbst. Gleichzeitig ist es sein Ziel, Anwalt zu werden, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.

Es war dieses Gerechtigkeitsempfinden, das Fredrick zur Black-Lives-Matter-Bewegung zog. Er war mit Rassismus als Schwarzer Geflüchteter, der vor dem Völkermord geflohen war, vertraut und es bestärkte ihn, an den Demonstrationen teilzunehmen. Er rief daraufhin zusammen mit den IRC-Kolleg*innen in Boise eine Reihe von öffentlichen Seminaren über Rassismus und Gleichberechtigung in der humanitären Arbeit ins Leben. 

Im Folgenden spricht Fredrick mit IRC über seine Arbeit mit der Gemeinschaft aus Geflüchteten in Boise, seine Sicht auf die Black-Lives-Matter-Bewegung und seine Hoffnungen für das Jahr 2021.  

Fredrick sitzt in der Nähe des Fensters und lächelt.
Fredrick arbeitet für IRC mit jungen Menschen zusammen, die eine ähnliche Geschichte haben wie er selbst. Gleichzeitig ist es sein Ziel, Anwalt zu werden, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.
Foto: Jonathan McBride/IRC

Was ist deine Aufgabe für IRC und wie hat sie sich während der Corona-Pandemie verändert?  

In der Jugendarbeit arbeite ich mit Familien zusammen, die gerade hier ankommen. Wir machen zusammen einen Plan, damit die Kinder in die Schule gehen können und um dann nachzuverfolgen, wie es ihnen geht. Oft helfe ich Familien, sich für Dinge wie Schulmittagessen oder Aktivitäten nach der Schule anzumelden. Ich setze mich für Ressourcen wie Fahrräder und Technologie ein – Dinge, die Menschen brauchen, die den gleichen Weg gegangen sind, wie ich selbst.  

Ich spreche fünf verschiedene Sprachen, also übersetze ich auch. Es ist ein echter Vorteil für die Familien. Ihre Augen strahlen, wenn sie hören, dass ich ihre Sprache spreche. Ich bin für sie jemand, dem sie vertrauen und mit dem sie sprechen können.  

Während COVID-19 waren Technologie und digitale Kompetenz ein großes Problem. Die meisten Schüler und Schülerinnen hatten noch nie einen Computer und WiFi. Ich weiß, dass ich wirklich damit zu kämpfen hatte, als ich zum ersten Mal hierher nach Boise zog. 

Fredrick schaut einem Schüler beim Arbeiten über die Schulter.
„Die Schülerinnen und Schüler sind im Moment gestresst, genau wie Erwachsene", sagt Fredrick. 
Foto: Jonathan McBride/IRC

Wir haben Videos für die Schüler*innen mit grundlegenden Anweisungen gemacht: wie man den Computer einschaltet, wie man eine E-Mail versendet, wie man seinen Google Classroom öffnet – Dinge, die ihnen helfen, mit der Schule in Verbindung zu bleiben. Wir haben auch ein After-School-Programm mit Hygienekonzept entwickelt, in dem sie Hilfe bei ihren Hausaufgaben oder bei der Verwendung von Technologie erhalten.  

Die Schülerinnen und Schüler sind gerade jetzt gestresst, genau wie die Erwachsenen. Es gibt eine siebenköpfige Familie, mit der ich eng zusammenarbeite. Die ältesten Kinder gehen zur High School. Sie stehen frühmorgens auf, um ihren jüngeren Geschwistern beim Zugang zu Online-Materialien zu helfen und ihre Hausaufgaben zu machen. Dann müssen sie ihre eigenen Hausaufgaben machen. Die Kinder sind also auch super müde.   

Wie kam es zu den Seminaren zu Rassismus und Gleichberechtigung in der humanitären Arbeit?  

2020 war ein sehr schwieriges Jahr für alle. Es gab Morde an schwarzen Menschen und PoC (People of Colour). Der Tod von George Floyd brachte das Fass zum Überlaufen. Darauf reagierte IRC in Boise. Wir haben einen sicheren Raum geschaffen, in den PoC einfach kommen und reden können. Unsere wöchentlichen Treffen sind etwas ganz Besonderes.

Die Veranstaltungen geben Einblicke in Geschichten von der ganzen Welt, ermöglichen Gesprächsrunden und persönliche Reflexionen, die den IRC-Mitarbeitenden und auch anderen Menschen, die mit Geflüchteten zusammenarbeiten, offen stehen. So kommen z.B. andere Resettlement-Agenturen, Menschen vom Schulbezirk und sogar die Polizei.  

Offensichtlich sprechen wir über etwas, das sehr persönlich für mich ist. Es war ein bisschen überwältigend – ich lerne für den LSAT (Law School Admission Test) – aber es war mir auch sofort sehr wichtig, daran teilzunehmen. Ich habe die erste Veranstaltung mitorganisiert, die sich auf Traumata konzentrierte: Wir redeten über Selbsthilfe, wie man Traumata in Geflüchteten- und Migrant*innengemeinschaften erkennt, wie man Menschen helfen kann, die Trauma erleben, und wie Traumata unseren Platz in der Gesellschaft verändern und das Verständnis Ethnizität und Herkunft beeinflussen.  

Was hast du von der Veranstaltung gelernt?  

„Ich habe gelernt, wie stark ich meine Stimme einsetzen kann. Als umgesiedelte Geflüchtete und neu angekommene Geflüchtete in der Gemeinde haben wir viel zu erzählen. Wir haben viel mehr zu geben. Das haben die Veranstaltungen bewiesen."

Porträt von Fredrick
„Als umgesiedelte und neu angekommene Geflüchtete in der Gemeinde haben wir viel zu erzählen - und noch mehr zu geben“, sagt Fredrick. 
Foto: Jonathan McBride/IRC

Was haben andere Leute vom Seminar mitgenommen? 

Nicht jeder weiß, was Geflüchtete ertragen haben oder welche Diskussionen es rund um Rassismus gibt. Wir sprechen hauptsächlich über Traumata, welche Dinge etwas für Geflüchtete auslösen können und wie sie darauf reagieren.  

Der Polizist, der zum Beispiel gekommen ist, arbeitet eng mit Geflüchteten in der Gemeinde zusammen. Für sie ist es wichtig zu wissen, wie man sie nicht an Traumata erinnert, und dass manchmal Reaktionen in den verschiedenen Gemeinden unterschiedlich sein können. Wie die Menschen auf einige Dinge in der amerikanischen Gesellschaft reagieren, ist anders, als  Menschen in der afrikanischen Gesellschaft darauf reagieren.  

Was hat dich dazu bewogen, dich stärker mit Rassismus und Gleichberechtigung zu beschäftigen?  

Idaho ist nicht so divers wie einige andere Staaten. Ich habe Menschen gesehen, die die gleiche Hautfarbe wie ich haben, und die belästigt und diskriminiert wurden. Morgen könnte ich an ihrer Stelle sein, es könnte mein Bruder, meine Schwester oder irgendjemand in meiner Gemeinschaft sein. 

Ich bin erst seit letzten Sommer Teil dieser Bewegung. Ich ging zu einigen der Proteste hier nach dem Tod von George Floyd. Einfach nur da zu sein, alle zusammenkommen zu sehen: Es hat mich definitiv bewegt. Es fühlt sich einfach richtig gut an, fast wie eine Superkraft, zu sagen: Hey, ich bin nicht der Einzige, der versucht, für etwas zu kämpfen, das richtig ist." Die Menschen im ganzen Land und auf der ganzen Welt tun es auch. Ich habe wirklich Hoffnung für die Zukunft: Wenn wir das beibehalten, müssen wir nicht immer gegen die gleichen Dinge protestieren. Wir können einfach aus der Vergangenheit lernen und es besser machen. 

Zusätzlich zum IRC in Boise arbeite ich auch an einem wöchentlichen Programm für People of Color, das über Führungsfähigkeiten und die Geschichte erfolgreicher Aktivist*innen lehrt.  

Wie beeinflusst deiner Meinung nach dein Hintergrund als Geflüchteter deine Rassismuserfahrung?  

Das ist etwas, worüber ich viel nachdenke. Ich konnte noch nie dort leben, was ich mein Zuhause nenne, und mich einfach nur wohlfühlen. Meine Familie und ich wurden aus unserem Zuhause – Ruanda – vertrieben. Wir mussten nach Uganda ziehen, wo wir die Sprache nicht sprachen und die Leute sehen konnten, dass wir anders waren.  

Als ich dann nach Amerika kam, dachte ich wirklich, dass mein Leben endlich vollständig sei. So wie die Menschen in Afrika über die Vereinigten Staaten reden ... Ich dachte, es wäre eine Ehre, hierher zu kommen. Dann merkte ich, dass Rassismus in den USA noch schlimmer ist als angenommen. Um ehrlich zu sein, finde ich es sehr traurig, das täglich zu erleben. 

Fredrick schaut aus dem Fenster.
„Um ehrlich zu sein, finde ich es sehr traurig, das täglich zu erleben", sagt Fredrick über Rassismus in den USA.
Foto: Jonathan McBride/IRC

Ich habe versucht, mich darüber zu informieren, wie man mit der Polizei und mit Rassismus umgeht. Aber es ist schwieriger für Leute wie meine Eltern, die nicht die gleiche Gelegenheit bekommen haben, zur Schule zu gehen und sich selbst darüber zu informieren. Und es ist traurig zu sehen, was sie durchmachen und nicht in der Lage sind, etwas dagegen zu sagen. Es gibt ihnen das Gefühl, als Mensch weniger wert zu sein.

Deshalb bemühe ich mich jeden Tag, mich mit Worten gegen Rassismus zu wehren. Und ich ermutige alle, dasselbe zu tun. Ich denke, es ist eine aufregende Zeit für die Jugend. Wir können alle zusammenkommen, um zu sagen, dass wir die Gerechtigkeit nicht länger aufschieben können.  

Was erhoffst du dir vom Jahr 2021 in den USA?  

Um ehrlich zu sein, war es ein bisschen unruhig Anfang 2021. Immer wieder brachten die Familien, mit denen ich zusammenarbeite, die Unruhen im Kapitol zur Sprache.

Die meisten von ihnen waren wirklich besorgt. Sie hatten ähnliche Situationen in ihren Herkunftsländern erlebt und hatten Angst, dass sich die Vergangenheit wiederholen würde. Ich tat mein Bestes, um die Informationen, die ich hatte, zu teilen. Als ich ihnen alles erzählt habe, konnte ich sagen, dass sie sich besser fühlten. Es war auch gut für mich, denn um ehrlich zu sein, war ich auch nervös.  

Fredrick, Boise, Idaho, steht vor seinem Gebäude
„Es ist schwer zu kämpfen, wenn man keine Veränderung sieht", sagt Fredrick. „Aber wenn du es endlich tust, gibt es dir viel mehr Energie, um weiterzumachen." 
 
Foto: Jonathan McBride/IRC

Es ist aufregend, eine Regierung zu haben, die Interesse an der Unterstützung von Geflüchteten und schwarzen Menschen zeigt und die Maßnahmen umsetzen könnte, damit sich Geflüchtete in dem Land, das wir jetzt Heimat nennen, sicherer fühlen.

Es ist schwer sich weiterhin für etwas einzusetzen, wenn man keine Veränderung sieht. Aber wenn du sie dann endlich siehst, gibt dir das viel mehr Energie, um weiterzumachen.

  

*Das Interview wurde gekürzt und aus Gründen der Übersichtlichkeit bearbeitet.