Ich konnte es nicht glauben, als ich die Nachrichten meines Freundes gelesen habe. Ich habe ihn sofort angerufen, um sicherzugehen, dass er die Wahrheit sagte. Ein Feuer zerstörte das Aufnahmezentrum Moria, das Zuhause von 12.000 Menschen. Ich habe mich ohnmächtig gefühlt.

"Ich musste an all die Menschen denken, die schon wieder aus ihrem Zuhause vertrieben wurden, darunter meine eigenen Klient*innen, wie traumatisch auch dieses Ereignis für sie sein musste.  

Das Feuer ist jetzt etwas mehr als einen Monat her. Ich denke an all die Dinge, die viele meiner Klient*innen durchleben mussten: Explosionen in ihrer Heimatstadt, Familie, Freunde und Freundinnen, die vor ihren Augen getötet wurden, lebensgefährliche Reisen über das Mittelmeer. Die Lager in Griechenland sind keine guten Orte, um diese schrecklichen Erinnerungen zu verarbeiten: dreckig und gefährlich und die Wartezeit auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag sind endlos.  

Das Lager in Moria wurde von Bränden zerstört.
Im September zerstörten Brände das Aufnahmezentrum Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Das Lager beherbergte 12.000 Menschen.
Foto: Milos Bicanski / IRC

Wie so viele andere Menschen auf der Welt hat mein Team von Psycholog*innen in den letzten Monaten unter sehr schweren Bedingungen gearbeitet. Die Pandemie bedeutete für uns, dass wir unsere Klient*innen nicht persönlich treffen konnten. Therapiesitzungen fanden telefonisch statt. Geflüchtete in Moria standen unter strikter Ausgangssperre und Kontaktbeschränkung. Sie durften das Lager ohne Erlaubnis nicht verlassen. Das hat ihrer mentalen Gesundheit erheblich geschadet. Unsere Arbeit wurde lebenswichtig. Jedoch war es fast unmöglich, die physische und emotionale Distanz zu unseren Klient*innen zu überbrücken. Manchmal brach die Verbindung ab oder wir konnten keinen Videoanruf machen. Es wurde sehr schwer, den Menschen das gewohnte Maß an Unterstützung zu bieten. 

Ich werde jeden Tag daran erinnert, wie viel Resilienz die Personen haben, 
mit denen ich zusammenarbeite.

Ich werde jeden Tag daran erinnert, wie viel Resilienz die Personen haben, mit denen ich zusammenarbeite. Ich arbeitete mit einem Mann, der von den Explosionen in Syrien so traumatisiert war, dass er sich nicht dazu bringen konnte, in das Boot nach Lesbos zu steigen. Er hat den Gedanken nicht ertragen, dass das Boot kentern würde und noch mehr Menschen vor seinen Augen sterben. Also beschloss er, das Meer schwimmend zu überqueren. Er schwamm 12 Stunden bevor er von der griechischen Küstenwache zur Küste von Lesbos gebracht wurde. Er hat die Eigenschaften von vielen Geflüchteten, die ich treffe. Ein Wille zum Überleben und der Wille, ihr Leben neu aufzubauen. Er war aber auch jemand, der mit posttraumatischem Stresssyndrom zu uns in die Klinik kam. Jemand, der grausame Rückblenden erlebt und nicht schlafen kann.  

Einwohner*innen aus dem Lager in Moria schlafen auf der Straße.
In den Wochen nach dem Feuer mussten die Menschen auf der Straße oder auf Feldern schlafen bis sie in ein neues Lager gebracht wurden.
Foto: Milos Bicanski/IRC

Es gibt tausende Menschen, die ähnliche Symptome haben. Schwere Kopfschmerzen, psychosomatische Schmerzen oder Erinnerungsverlust. Alles verbunden mit einer großen Angst und Unsicherheit. Viele meiner Klient*innen haben nichts, dass ihnen Halt gibt und fühlen sich hilflos.

In den Wochen nach dem Feuer mussten Menschen auf der Straße oder in Feldern schlafen, bevor sie in ein neues Lager gebracht wurden. Es ist sehr einfach, ohne laufendes Wasser oder richtige Unterkünfte. Ich mache mir Sorgen darum, wie sie den Winter überstehen sollen.  

Viele meiner Klient*innen haben nichts, dass ihnen Halt gibt und fühlen sich hilflos.

Ich bemerkte eine Verschlechterung ihrer Depressionen unter meinen Klient*innen. Als ob sie keinen Sinn im Leben sehen. Die griechische Regierung und die Europäische Unio haben es in der Hand, wieder Hoffnung zu geben. Menschen aus diesen Lagern müssen dringend in Sicherheit aufs griechische Festland oder in andere europäische Länder gebracht werden.

Ein IRC-Mitarbeiter schaut auf das zerstörte Lager Moria.
Menschen aus diesen Lagern müssen dringend in Sicherheit aufs griechische Festland oder in andere europäische Länder gebracht werden.
Foto: Milos Bicanski / IRC

An die Nacht der Brände zurückzudenken ist schwer. Es ist auch nicht leicht, die schmerzhaften Erfahrungen meiner Klient*innen nicht mit nach Hause zu nehmen. Trotzdem bin ich weiterhin von ihrer Stärke beeindruckt. Die aktuelle Lage ist eine weitere Hürde, aber ich weiß, dass sie sie überstehen werden. Ich werde die seelische Stärke des Mannes nie vergessen, dieser Wille, sich selbst zu retten und durchs Meer in Sicherheit zu schwimmen.  

Unsere Unterstützung ist wichtig und lebensrettend, aber nicht genug. Wir müssen daran denken, dass die Menschen Unterstützung brauchen. Aber am Wichtigsten ist es, daran zu denken, dass sie Menschlichkeit brauchen." 

Dukas Protogiros ist Psychologe für International Rescue Committee und betreut seit eineinhalb Jahren Asylsuchende in Lesbos. Er bietet psychologische Unterstützung für die Einwohner*innen des Lagers in Moria an und behandelt Menschen mit Posttraumatischem Stresssyndrom und Depressionen. 

Mehr Informationen 

International Rescue Committee (IRC) stellt seit 2018 psychosoziale Unterstützung für Asylsuchende auf Lesbos bereit. Erfahrt mehr über unsere Arbeit in Griechenland.