Bob Kitchen, IRC-Vizepräsident für Notfalleinsätze erklärt, wie wir die Ausbreitung des Corona-Virus bekämpfen.

Wie schätzen Sie die Gefahren ein, die von COVID-19 ausgehen?

Bob Kitchen: Ich arbeite seit über 20 Jahren in der humanitären Nothilfe. So etwas wie COVID-19 habe ich aber noch nicht erlebt. Die letzte vergleichbare Pandemie war der Ausbruch der Spanischen Grippe im Jahr 1918.

Diese neue Krankheit droht jetzt schon die Gesundheitssysteme in vielen Ländern zu überfordern. Trotzdem glaube ich, dass wir immer noch Maßnahmen ergreifen können, um die weitere Verbreitung zu minimieren und damit Leben zu retten.

Als Leiter unseres global arbeitenden COVID-19-Einsatzteams koordiniere ich über 13.000 Mitarbeiter*innen von International Rescue Committee in mehr als 40 Ländern. Bis Mitte März haben wir einen COVID-19-Risiko- und Reaktionsplan erarbeitet, der meiner Meinung nach den Standard für humanitäre Hilfe setzt. Dabei teilen wir unsere Expertise mit Regierungen und auch anderen Hilfsorganisationen. Wir haben gesehen, dass einige Element daraus schon umgesetzt worden sind.

Welche Länder sind am meisten gefährdet?

Länder, in denen Kriege und Konflikte herrschen: Wenn das Virus ein Land wie Syrien erreicht, trifft es auf Menschen, die sowieso schon stark gefährdet sind. Ausgangsbeschränkungen in Flüchtlingslagern – das wird ein Albtraum sein. Die Menschen in diesen Lagern sind total abhängig: Täglich müssen Lieferungen von Nahrungsmitteln und anderen Materialien abgefertigt werden. Geflüchtete müssen zur Arbeit und ihren Lebensunterhalt verdienen.

Wenn das Virus ein Kriegsgebiet wie Syrien erreicht, trifft es auf Menschen, die sowieso schon stark gefährdet sind.

Wie kann man diesen Menschen helfen?

Wir können die Ansteckungsgefahren minimieren, indem wir zum Beispiel die Versorgung mit Wasser verbessern und die Zahl der Handwaschstationen erhöhen. Es müssen ausreichend Infektionskontrollstellen eingerichtet werden und die Aufklärung und Kommunikation im Bereich der öffentlichen Gesundheit erhöhen. Hier kommen wir ins Spiel.

Wie genau sieht die Hilfe von International Rescue Committee aus?

Alle IRC-Mitarbeiter*innen engagieren sich in der Aufklärungsarbeit. Geflüchtete kennen uns. Sie vertrauen uns. Sie hören auf uns, wenn wir sie über die Risiken aufklären, denen sie ausgesetzt sind und ihnen erklären, wie sie gesund bleiben können und was zu tun ist, wenn sie sich krank fühlen. Wir ermutigen dabei die Kranken, sich behandeln zu lassen und anschließend zu isolieren.

Flüchtling wäscht seine Hände an einer Handwaschstation in Bangladesch
Wir können die Ansteckungsgefahren minimieren, indem wir zum Beispiel die Versorgung mit Wasser verbessern und die Zahl der Handwaschstationen erhöhen.
Foto: Maruf Hasan/IRC

Unsere Mitarbeiter*innen vor Ort handeln dabei sehr schnell. Im Norden Mexikos haben wir neue Ansätze zum Informationsaustausch sowie zur Sensibilisierung der Menschen initiiert und mehr Handwaschstationen in Flüchtlingslagern installiert. In Afghanistan gibt es vor jedem unserer Büros eine Anlage zum Händewaschen. In Thailand haben wir dabei die Führungsrolle übernommen: Alle 12 Hilfsorganisationen, die in den Lagern im Norden arbeiten, haben inzwischen unser Modell übernommen und folgen unseren Vorschriften. Das ist ermutigend.

In den kommenden Wochen werden wir auch unser "SignPost-Projekt" ausbauen. Das ist eine neue Online-Engagement-Plattform, auf die vom Handy aus zugegriffen werden kann. 80.000 Menschen haben sich in Europa innerhalb der ersten Woche eingeloggt und Informationen speziell über COVID-19 abgerufen. Wir sind gerade dabei, in Griechenland einen Relaunch durchzuführen und zu prüfen, wie wir den Einfluss der Plattform in anderen Ländern noch ausbauen können.

Das SignPost-Projekt baut auf unserer großen Facebook-Community in Europa auf, die es uns ermöglicht, schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen mit Posts, Videos und Podcasts zu erreichen. Ein großes Moderatoren-Team beantwortet laufend die eintreffenden Fragen  und berät die Menschen, wie sie Zugang zu Diensten erhalten und sich schützen können.

Angesichts der weltweit rasanten Ausbreitung von COVID-19 – worüber machen Sie sich besonders große Sorgen?

Als Experte für humanitäre Hilfe bin ich besonders besorgt über die Verbreitung des Virus in Irak, Griechenland und Burkina Faso.

Irak

Irak ist ein zerbrechliches, instabiles Land. Die Menschen versuchen, sich von einem Krieg und einem anschließend gewaltsamen Konflikt gegen "Islamischer Staat" (IS) zu erholen. Viele Menschen leiden an  Krankheiten wie Bluthochdruck und Krebs und weisen damit Vorerkrankungen auf, die im Falle einer COVID-19-Infektion tödlich sein können.

Ein weiteres Problem: Die geographische Nähe des Irak zum Iran, einem der am stärksten betroffenen Ländern weltweit. Gleichzeitig erschweren von der irakischen Regierung erlassene Zugangsregelungen unseren Teams, gefährdete Menschen in dieser kritischen Zeit zu erreichen.

Griechenland

Dann mache ich mir Sorgen über die Geflüchtete, Migrant*innen und Asylsuchenden auf den griechischen Inseln. Zehntausende Menschen sitzen dort fest. Die Lager sind total überfüllt. Die  Infrastruktur von Lesbos ist auf so viele Menschen nicht ausgerichtet Das wird eine Katastrophe.

Seit 2015 unterstützen Ehrenamtliche und humanitäre Organisationen die Geflüchteten in Griechenland während die Welt meist weggeschaut hat. Jetzt sind diese Helfer wegen der Pandemie gezwungen, die Lager zu verlassen. Nur einige wenige sind geblieben, darunter das IRC. Doch unsere Möglichkeiten, technische Unterstützung zu leisten, ist durch internationale Reiseverbote und die Reduzierung von Flügen extrem beeinträchtigt.

Burkina Faso

In Burkina Faso haben wir es inzwischen mit vielen bestätigten COVID-19-Fällen zu tun. In der Hauptstadt Ouagadougou gibt es einige Gesundheitseinrichtungen. Aber in den ländlichen Gebiete gibt es keine Kapazitäten, um Verdachtsfälle zu identifizieren und Tests durchführen zu können oder Personen zu isolieren.

Hinzukommt: Wir arbeiten in einem aktiven Konfliktgebiet. Die starke Zunahme von Angriffen bewaffneter Gruppen seit vergangenem Jahr machen die Arbeit noch schwerer. Das haben wir schon in der Demokratischen Republik Kongo beim Versuch, die jüngste Ebola-Epidemie einzudämmen, gesehen.  

COVID-19 wird die Menschen, mit denen wir arbeiten, unvorstellbar hart treffen.

COVID-19 wird die Menschen, mit denen wir arbeiten, unvorstellbar hart treffen. Wenn wir  unsere laufenden Programme aufrechterhalten und zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen können, werden wir Leben retten können. Doch dafür müssen wir jetzt sofort handeln.

Helfen Sie uns dabei, weiterhin Geflüchtete Menschen weltweit zu unterstützen.