Die Zivilbevölkerung trägt nach hundert Tagen Krieg in der Ukraine weiter die Hauptlast der Gewalt. Unterdessen drohen die Auswirkungen der konfliktbedingten Nahrungsmittelknappheit humanitäre Krisen auf der ganzen Welt zu verschärfen.

Mit schätzungsweise 9.000 getöteten oder verletzten Zivilist*innen seit 24. Februar und über 200 zerstörten Gesundheitszentren, Schulen und zivilen Einrichtungen hat der Krieg in der Ukraine einen hohen Tribut gefordert. Die humanitären Bedarfe im Osten des Landes bleiben äußerst besorgniserregend. Der Zugang zu den von Russland kontrollierten Gebieten ist für IRC-Teams vor Ort nach wie vor eine Priorität. IRC-Partnerorganisationen sind rund um die Uhr im Einsatz, um ihre Gemeinden zu versorgen. Sie berichten von Familien, die mit einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit in ihre Einrichtungen kommen und nicht in der Lage sind, für die kommenden Tage zu planen oder gar in die Zukunft zu blicken.

Der Krieg in der Ukraine führt zu einer weltweiten Verknappung von Getreide, insbesondere Weizen: In diesem Jahr werden voraussichtlich weitere 47 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen sein. Nach 100 Tagen Krieg in der Ukraine drohen Katastrophen weltweit. In Jemen stehen 19 Millionen Menschen am Rande einer Hungersnot. Das Land bezieht 46% des Getreides aus Russland und der Ukraine. Die Lage in Somalia wird sich weiter verschärfen, da das Land 92% seiner Lieferungen aus der Region einführt.

David Miliband, CEO und Präsident von International Rescue Committee, sagt:

"Der Konflikt in der Ukraine zeigt keine Anzeichen für eine Abschwächung. Die Situation ist zum Sinnbild für die Straffreiheit im Krieg geworden. Gewalttaten werden in dem Wissen begangen, dass es keine Konsequenzen geben wird. Die internationale Gemeinschaft muss dafür sorgen, dass der Krieg in der Ukraine nicht zum nächsten Krieg der Straflosigkeit wird. Die bisherigen diplomatischen Bemühungen haben jedoch nicht zu den Ergebnissen geführt, die die ukrainische Bevölkerung braucht. Eine Einstellung der Kriegshandlungen ist nicht in Sicht, und die Bemühungen um einen effektiven Zugang zu den belagerten Gebieten für Evakuierungen und Hilfslieferungen müssen oberste Priorität haben. 

Was in der Ukraine geschieht, ist kein Ausreißer in modernen Konflikten. Die Belagerung von Städten, die Zerstörung ziviler Infrastruktur, Vergewaltigungen als Kriegswaffe, die Verweigerung des Zugangs zu Hilfsgütern und die Angriffe auf Mitarbeitende von Hilfsorganisationen sind zu den Kennzeichen unseres Zeitalters der Straflosigkeit geworden - von Äthiopien über Jemen bis Afghanistan. Die letzten hundert Tage waren eine schockierende Offenbarung der unmenschlichen Fähigkeiten globaler Mächte. Wir können nicht zulassen, dass die nächsten hundert Tage ungestraft vergehen."

Ralph Achenbach, IRC Deutschland Geschäftsführer, kommentiert: 

“Zugangsbeschränkungen für humanitäre Hilfe sind eines der unterschätztesten Themen in der aktuellen Diskussion um Ernährungsunsicherheit. Fast 200 Millionen Menschen in humanitärer Not, d.h. 70% aller Bedürftigen, leben in Ländern, in denen der Zugang für humanitäre Hilfe extrem eingeschränkt ist. Humanitäre Organisationen wie IRC werden aktiv daran gehindert, hungerleidende Menschen zu erreichen. Wir sehen dies in Somalia, wo kaum Zugang ins Land möglich ist. Wir sehen Jemen, wo komplette Häfen gesperrt sind, der Flugverkehr ausgesetzt ist. Wir sehen dies in allen Krisenkontexten, in denen internationale Sanktionsregime keine ausreichenden Ausnahmen für die Arbeit von Hilfsorganisationen enthalten. 

Die UN-Resolution 2417 gegen konfliktbedingten Hunger könnte ein wirksamer Indikator und ein Instrument sein, um Ernährungsunsicherheit und Hunger zu bekämpfen. Aber die Daten zu erfassen wird durch mangelnden Zugang untergraben - und das während die Welt mit der schlimmsten Nahrungsmittelkrise seit einem Jahrzehnt konfrontiert ist. Die internationale Staatengemeinschaft muss ihre Kräfte bündeln, um das Abschnüren humanitärer Hilfe sowie die Instrumentalisierung von Hunger als Waffe zu verhindern.”

IRC hat im Februar 2022 Soforthilfe zur Bewältigung der Ukrainekrise eingeleitet und arbeitet direkt mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, um bedürftige Menschen zu erreichen. Wir sind in Polen, der Ukraine und Moldawien vor Ort und stellen lebenswichtige Dienste bereit, darunter Bargeldhilfe, psychologische Unterstützung, medizinische Versorgung und Ausrüstung sowie spezielle Sozialdienste für Kinder und Überlebende von Gewalt. IRC Deutschland erweitert bestehende Programme in den Bereichen Bildung, Wirtschaftliche Integration und Schutz und Teilhabe, um auf die Bedarfe von Geflüchteten aus der Ukraine zu reagieren