Die Zahl der Geflüchteten und Migrant*innen, die den gefährlichen Weg von Nordafrika nach Europa wagen, steigt weiter. IRC fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten dringend auf, den sicheren Zugang zu Schutz in Europa auszubauen und sicherzustellen, dass Menschen auf der Flucht geschützt werden. 

Nach Angaben von UNHCR sind in diesem Jahr bisher mehr als 35.000 Menschen auf dem Seeweg in Italien angekommen - fast ein 29% Anstieg gegenüber den 27.200, die im gleichen Zeitraum 2021 aufgenommen wurden. Im Jahr 2022 sind bereits mindestens 875 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben gekommen.

Susanna Zanfrini, Leiterin des IRC-Büros in Italien, sagt:

,,Wir erleben wieder einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Menschen, auf der tödlichsten Migrationsrouten der Welt. Viele dieser Menschen wurden durch die zunehmende Ernährungsunsicherheit, die Arbeitslosigkeit und die Auswirkungen des Klimawandels aus ihrer Heimat vertrieben. Einige von ihnen fliehen vor Gewalt, Konflikten oder Verfolgung in Ländern wie Afghanistan, Sudan oder Somalia.

Diejenigen, die Lampedusa erreichen, werden in einem Aufnahmezentrum zusammengepfercht, das derzeit mehr als viermal so voll ist wie seine Kapazität - fast 1.900 Menschen sind in einem Raum untergebracht, der eigentlich nur für 350 Personen vorgesehen ist. Die Ankünfte auf Inseln wie Lampedusa erreichen in den Sommermonaten aufgrund der besseren Wetterbedingungen in der Regel ihren Höhepunkt. Wie verzweifelt die Situation wird, war absehbar und hätte vermieden werden können und müssen."

Tom Garofalo, IRC-Landesdirektor für Libyen, kommentiert:

,,Die Menschen wollen Libyen wegen der Bedingungen, unter denen sie leben, unbedingt verlassen. Sie wissen, dass sie jeden Tag entführt, willkürlich inhaftiert und Gewalt und Missbrauch ausgesetzt werden könnten. Ihr Leben auf dem Meer zu riskieren ist der letzte Ausweg. 

Im Jahr 2022 wurden mehr als 9.800 Menschen von den libyschen Behörden, einschließlich der Küstenwache, aufgegriffen und an die libysche Küste zurückgeschickt. IRC-Teams an den Ausschiffungsstellen in Libyen behandeln regelmäßig die schrecklichen Verletzungen der Ankommenden - Dehydrierung, Erschöpfung, Verbrennungen durch ausgelaufenen Treibstoff und andere physische und psychische Narben ihrer traumatischen Reise. Doch anstatt die benötigte dauerhafte Unterstützung zu erhalten, werden die meisten Menschen in Internierungslager geschickt, in denen oft bedauerliche Bedingungen herrschen."

Ralph Achenbach, IRC Deutschland Geschäftsführer, ergänzt:

,,Wir wissen, dass in den Sommermonaten immer mehr verzweifelte Menschen auf der Suche nach Sicherheit den gefährlichen Weg über das Mittelmeer antreten. Diese Menschen müssen mit Menschlichkeit, Würde und im Geiste der Solidarität in Europa aufgenommen werden.

Deutschland und die EU-Mitgliedstaaten müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und zu ihrem Wort stehen. Sie müssen die staatliche Seenotrettung im zentralen Mittelmeer wieder aufnehmen, die Zurückweisungen nach Libyen beenden und Menschen eine sichere Aufnahme in Europa ermöglichen. Damit die Länder an Europas Grenzen nicht weiter eine unverhältnismäßig große Verantwortung für die Aufnahme der Ankommenden tragen, muss ein dauerhaftes, rechtsverbindliches und vorhersehbares System geschaffen werden, dass die Verantwortung auf den breiten Schultern aller EU-Staaten teilt.”

IRC fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf:

  1. Sichere, reguläre Wege zu Schutz und Mobilität von Afrika nach Europa auszubauen: Menschen sollen nicht gezwungen sein, ihr Leben auf gefährlichen Reisen zu riskieren. Im Rahmen von Resettlement sollten 2023 mindestens 40.000 Geflüchtete in der EU aufgenommen werden, mit besonderer Aufmerksamkeit für Bedarfe entlang der zentralen Mittelmeerroute. Ergänzend müssen sichere Wege nach Europa durch ausgebaute humanitäre Aufnahmeprogramme , Familienzusammenführung und Visa für Arbeit oder Studium ausgebaut werden.
  2. Dringende Wiederaufnahme der EU-finanzierten, staatlichen Seenotrettung im Mittelmeer und ausnahmslose Achtung der Menschenrechte in Kooperation mit den libyschen Behörden: In der Zusammenarbeit mit libyschen Behörden, inklusiver der Küstenwache, zu migrationspolitischen Fragen muss die Wahrung der Rechte von Menschen auf der Flucht die Richtschnur sein
  3. Verstärkte Koordinierung aller Akteur*innen im Bereich der Seenotrettung,einschließlich Nichtregierungsorganisationen: Alle auf See geretteten Menschen müssen an einem sicheren Ort gebracht werden. UNHCR hat wiederholt festgestellt, dass Libyen kein sicherer Ort ist.
  4. Politischer Einsatz für die Beendigung von willkürlichen Inhaftierungen und für die Freilassung aller derzeit inhaftierten Personen: Die libyschen Behörden sollten bei der Gewährleistung von Alternativen zur Inhaftierung von Menschen auf der Flucht unterstützt werden - insbesondere für Frauen und Kindern, die besonderen Schutzrisiken ausgesetzt sind. 
  5. Zusammenarbeit mit Partnerländern entlang der zentralen Mittelmeerroute damit Menschen - insbesondere Frauen, Kinder und andere Personen in gefährdeten Situationen - besser Zugang zu Hilfsangeboten und Schutzmaßnahmen erhalten: Dazu zählt der Zugang zu Informationen über administrative, rechtliche und grundlegende soziale Dienstleistungen entlang der Route.
  6. Einigung über ein dauerhaftes, rechtsverbindliches und vorhersehbares System zur Verantwortungsteilung in der Verantwortung auf der Grundlage von Relocations: Ziel muss sein, dass die Länder an den Grenzen Europas keine unverhältnismäßige Verantwortung für die Unterstützung der Neuankommende tragen.

IRC ist seit August 2016 in Libyen tätig und bietet lebensrettende Gesundheits- und Schutzprogramme an, unterstützt umfassendere Bemühungen zur Stärkung des Gesundheitssystems und stärkt Initiativen von libyschen Jugendlichen zur Friedensförderung und Staatsführung. Im Jahr 2022 hat IRC bisher 49 Nothilfeeinsätze durchgeführt und dabei mehr als 3.800 Menschen unterstützt, darunter 190 Frauen und 228 Kinder.

In Italien setzt sich IRC für den Schutz von Geflüchteten und Asylbewerber*innen ein. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Frauen, unbegleiteten Kindern, und Menschen, die psychosoziale Unterstützung benötigen. IRC arbeitet mit Partnerorganisationen zusammen, um deren Fähigkeit zur raschen Identifizierung von Überlebenden des Menschenhandels zu verbessern und ihren Zugang zu Rechtsbeistand und Unterstützung zu stärken. Die Online-Plattform Refugee.Info bietet Geflüchteten und Asylbewerber*innen, die örtliche Unterstützungsdienste benötigen, klare und aktuelle Informationen damit sie fundierte Entscheidungen über ihr Leben treffen können.