Die humanitären Folgen des Ukrainekrieges fordern weltweit einen hohen Tribut: Die Auswirkungen des Konflikts sind weit über die Grenzen des Landes hinaus zu spüren. Ein Jahr später sind die Auswirkungen des Konflikts in jedem Winkel der Erde zu spüren und verschärfen andere Krisen auf der Welt dramatisch.

Da ein Ende des Krieges in der Ukraine nicht in Sicht ist und wahrscheinlich bis weit in das Jahr 2023 andauern wird, sind Millionen von Menschenleben gefährdet. Die Auswirkungen des Konflikts zeigen sich weltweit in Form von Unterbrechungen der Lebensmittelversorgungskette, hohen Energiepreisen und steigender Inflation. Von den Menschen in der Ukraine bis hin zu den Ländern , die von ukrainischen Weizenexporten abhängig sind, ist der durch den Konflikt verursachte humanitäre Bedarf nicht verschwunden, sondern hat sich weiter vervielfacht.

94 Prozent der einkommensschwachen Länder kämpfen derzeit mit einer explodierenden Inflation, die zum Teil durch die Auswirkungen des Krieges auf die Lebensmittel- und Treibstoffpreise angeheizt wird.  Darunter gehört auch Syrien, das gerade von dem tödlichen Erdbeben heimgesucht wurde. In den 20 Ländern, die laut der IRC Emergency Watchlist 2023 am stärksten von einer Verschärfung der humanitären Krise bedroht sind, liegt die Inflation der Lebensmittelpreise bei fast 40 Prozent. Dieser Umstand macht es den Menschen noch schwerer, ihre Familien zu ernähren, selbst wenn auf den Märkten Lebensmittel erhältlich sind. IRC-Teams berichten, dass durch die steigenden Wohnungs- und Lebensmittelpreise auch die Gemeinden mit den meisten aufgenommenen ukrainischen Geflüchteten zunehmend Unterstützung benötigen. 

Die Schockwellen auf den globalen Energiemärkten sind in den Volkswirtschaften der unteren und mittleren Einkommensgruppen, die sich größtenteils noch nicht von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erholt haben, dramatisch zu spüren. Schätzungen zufolge können 70 Millionen Menschen, die erst kürzlich Zugang zu Strom hatten, sich diesen nicht mehr leisten. In Ländern wie Moldawien gehen die Umweltauswirkungen mit den sozioökonomischen Auswirkungen des Krieges einher, da die Menschen wieder auf Kohle und Brennholz als Heizquelle zurückgreifen.

Die Auswirkungen des Krieges auf die Rohstoff- und Brennstoffpreise haben auch zur weltweiten Ernährungskrise beigetragen. Schätzungen zufolge werden 2023 rekordverdächtige 349 Millionen Menschen in 79 Ländern von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Genau ein Jahr nach der Eskalation des Ukrainekonflikts wird die Schwarzmeer-Getreide-Initiative im März auslaufen, während die Menschen in Ostafrika weiterhin mit extremem Hunger zu kämpfen haben. Die erneute Blockade könnte die Einfuhr von 80 Prozent des Getreides aus der Region in den afrikanischen Kontinent verhindern, während Länder wie Somalia am Rande einer Hungersnot stehen.

David Miliband, IRC Präsident und CEO, kommentiert:

,,Der wachsende humanitäre Bedarf in der Ukraine ist nur die eine Seite der Geschichte. Die andere Hälfte ist, wie die Auswirkungen des Krieges den humanitären Bedarf weltweit anheizen, da die globalen Auswirkungen dieses Krieges ein globales Vorgehen erfordern.

Die internationale Reaktion auf den Krieg in der Ukraine ist ein Beweis für die Kraft von Politik und Solidarität in Krisenzeiten, sowohl in Bezug auf die Finanzierung als auch auf erweiterte Schutzmechanismen. Sie ist ein Beweis dafür, was für die 100 Millionen weltweit vertriebenen Menschen erreicht werden kann, wenn die Verantwortung für die Bewältigung der globalen Vertreibung geteilt wird.

Die 2020er Jahre werden als das Jahrzehnt des Ukrainekrieges und seiner Folgen bekannt werden und uns einige wichtige Lektionen lehren: über die Kraft der politischen Mobilisierung und Solidarität angesichts der humanitären Not, über die untrennbar miteinander verbundene Natur und die Dominoeffekte globaler Krisen und über die düsteren Folgen von Straflosigkeit ohne Rechenschaftspflicht. Die Art, wie wir auf diese Lektionen reagieren, wird den Maßstab für die Reaktion auf alle humanitären Krisen im nächsten Jahrzehnt setzen. 

Erstens müssen wir den Teufelskreis der globalen Krisen durchbrechen, indem wir die internationale Reaktion auf Ernährungskrisen verbessern. Zweitens muss die internationale Gemeinschaft ihr Engagement für den Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten verstärken und die Straflosigkeit für Massengräueltaten bekämpfen. Drittens muss die humanitäre Hilfe strategisch vorangetrieben werden,  damit die Menschen im Mittelpunkt stehen und NROs und lokalen zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiten. Nur so kann die Hilfe direkt an die Frontlinien des Konflikts gebracht werden."

Shashwat Saraf, IRC-Regional Nothilfedirektor für Ostafrika, ergänzt:

,,Die Schwarzmeer-Getreide-Initiative war ein wertvoller Schritt in Richtung der Wiederaufnahme der Getreidelieferungen aus der Ukraine in die vom Hunger betroffenen Länder.  Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass bisher nur 10 Prozent des im Rahmen der Initiative exportierten Getreides an die fünf einkommensschwachen Länder Afghanistan, Äthiopien, Somalia, Sudan und Jemen gegangen sind. Es handelt sich hierbei um die Länder, die die Lieferungen am dringendsten benötigen, jedoch erhalten Länder wie Spanien die doppelte Menge. 

Es ist von entscheidender Bedeutung, die Schwarzmeer-Getreide-Initiative aufrechtzuerhalten und die Lieferungen kontinuierlich zu erneuern. Genauso wichtig ist es aber auch, dass das Getreide dorthin gelangt, wo es am dringendsten benötigt wird - in die sechs Länder, die am meisten von einer Hungersnot bedroht sind. Die Beibehaltung der Initiative und die Erneuerung des Abkommens im kommenden März, aber auch die Priorisierung der Exportziele werden dazu beitragen, die Auswirkungen des Krieges auf andere humanitäre Krisen in der Welt zu begrenzen."

Hinweis für die Redaktion: