Neun internationale und in Afghanistan tätige Nichtregierungsorganisationen rufen die internationale Gemeinschaft und humanitäre Geberregierungen dringend dazu auf, vertriebene Familien, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, stärker zu unterstützen. Das Überleben dieser Familien muss vor allem in den harten Wintermonaten gesichert sein. Damit sich die Krise nicht verschärft, müssen Aufnahmeländer darüber hinaus Afghan*innen im Ausland weiterhin Zuflucht gewähren, bis eine sichere und dauerhafte Rückkehr in ihr Heimatland möglich ist. 

Vor drei Monaten kündigte Pakistan an, dass ausländische Staatsangehörige ohne Papiere das Land verlassen oder mit einer Abschiebung rechnen müssen. Dazu zählen auch geflüchtete afghanische Familien, die nun durch ihre gezwungene Rückkehr einer ungewissen Zukunft entgegensehen: Sie haben wenig bis gar keine Mittel, um den strengen Winter zu überleben, geschweige denn ein Leben wieder aufzubauen, warnen CARE International (CARE), der Dänische Flüchtlingsrat (DRC), INTERSOS, International Rescue Committee (IRC), Islamic Relief Worldwide (IRW), Mercy Corps, der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC), Save the Children International und World Vision International (WVI).

80 Prozent derjenigen, die zurückkehren müssen, sind Frauen und Kinder, die auf der Rückreise nach Afghanistan erhöhten Risiken ausgesetzt sind. Mariam* hat fünf Kinder, lebt mit elf Familienmitgliedern auf engstem Raum und berichtet davon, wie schwierig es für sie und ihre Familie ist, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken: „Wir haben unsere gesamten Rücklagen, einschließlich dem Geld, das wir an der Grenze erhalten haben, für die Rückkehr nach Afghanistan und die Transportkosten verwendet. Ein paar Verwandte haben uns zwar geholfen, eine Unterkunft in Jalalabad zu finden, aber der Besitzer verlangt jetzt Miete, dabei haben wir nichts mehr. Wie sollen wir uns da überhaupt etwas zu essen leisten? Ich wünschte, wir könnten ein eigenes Haus haben und eine Arbeit finden. Ohne Unterstützung. Vor allem für uns Frauen sehe ich keine andere Option, als auf der Straße zu betteln oder unsere Kinder auf die Straße zu schicken, um irgendwie Einkommen zu generieren."   

Afghanistan leidet noch immer unter den Auswirkungen von jahrzehntelangen bewaffneten Konflikten, Katastrophen wie den jüngsten verheerenden Erdbeben im westlichen Teil des Landes und der Wirtschaftskrise. Mit 29 Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, haben rückkehrende Familien in Afghanistan wenige bis gar keine Perspektiven.   

Da die Mittel für die Unterstützung begrenzt sind, stehen das Überleben und das Wohlergehen der zurückkehrenden Familien auf dem Spiel. Der Mangel an Arbeitsplätzen und Einkommensmöglichkeiten hat schwerwiegende Auswirkungen darauf, ob Familien sich eigenständig versorgen und in die Gemeinschaft reintegrieren können, insbesondere bei Haushalten, wo die Frau allein für das Einkommen verantwortlich ist. Die Hilfsorganisationen fordern: 

Corina Pfitzner, Geschäftsführerin von IRC Deutschland, sagt:  

,,Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan zu verhindern. Dennoch ist die humanitäre Hilfe für Afghanistan drastisch reduziert worden. Ich habe während meiner Reise nach Afghanistan im Oktober mit vielen Klient*innen und Menschen in der angrenzenden Provinz zu Pakistan, Nangarhar, gesprochen. Sie berichteten davon, wie schwer es ist ihren Lebensunterhalt zu sichern, und wünschen sich mehr direkte und langfristige Unterstützung. Gerade jetzt muss die humanitäre Hilfe für Afghanistan aufgestockt werden, um die rückkehrenden Menschen bestmöglich zu unterstützen.  

Gleichzeitig braucht es endlich eine längerfristige Strategie für Afghanistan, um der Wirtschaftskrise als einer der größten Treiber der humanitären Krise zu begegnen. Hier sollte die Bundesregierung mehr in die strukturbildende Entwicklungszusammenarbeit investieren, die durch unabhängige Partnerorganisationen vor Ort umgesetzt wird. Nur so kann es für die vielen rückkehrenden Afghan*innen eine Chance für einen Neuanfang in Afghanistan geben.  

Wir betrachten mit Sorge, inwieweit auch Afghan*innen von den Ausweisungen betroffen sind, die aus Pakistan über humanitäre Aufnahmeprogramme, Familiennachzug oder Resettlement in Drittstaaten wie Deutschland aufgenommen werden sollen. Durch diese Verfahren entstehen monatelange Wartezeiten vor Ort, was häufig die Dauer der VISA überschreitet, die damit ungültig werden. Eine VISA-Verlängerung, die nicht immer von den pakistanischen Behörden genehmigt wird, müssen die Afghan*innen selbst übernehmen. Die Bundesregierung sollte sich daher dafür einsetzen, dass Afghan*innen, die für das Bundesaufnahmeprogramm ausgewählt wurden, sich durch eine zügige Abwicklung der Verfahren und einer unmittelbaren Ausreise nur kurzfristig in Pakistan aufhalten müssen, damit sie nicht von Abschiebungen gefährdet sind.  

Auch die Familiennachzugsverfahren sollten beschleunigt werden, um Abschiebungen abzuwenden. Den pakistanischen Behörden muss klar kommuniziert werden, dass die Personen bereits auf einer Warteliste zur Antragstellung stehen und eine Abschiebung das Verfahren gefährdet und weiter verzögert.” 

*Der Name wurde zum Schutz der Klientin geändert. 

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