David Miliband, IRC-Präsident und CEO, sagt:  

,,Ich habe gerade eine äußerst wertvolle Zeit in Jordanien und Libanon verbracht: Ich habe IRC-Mitarbeitende und syrische, jordanische und libanesische Klient*innen getroffen, die durch einen langwierigen, von der internationalen Gemeinschaft fast vergessenen Konflikt an ihre Grenzen gebracht wurden. 

IRC leistet seit 2012 Hilfe in Syrien und die Situation war noch nie so komplex wie heute. Sechs Monate nach den verheerenden Erdbeben und 13 Jahre nach Beginn des Konflikts ist der Bedarf an humanitärer Hilfe auf einem Höchststand. Das menschliche Leid, das mit über einem Jahrzehnt Konflikt und Instabilität in Syrien einhergeht, steigt weiter an. Mehr als 15 Millionen Menschen sind heute auf humanitäre Hilfe angewiesen – mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt während des Konflikts. Eine fehlende langfristige politische Lösung und die Folgen eines langwierigen Konflikts haben rund 90 Prozent der syrischen Bevölkerung in die Armut getrieben. Der humanitäre Hilfsplan für dieses Jahr ist gerade einmal zu einem Viertel finanziert, was für 2024 noch höhere Bedarfe bedeuten wird. 

Es ist entscheidend, dass die humanitäre Hilfe die bedürftigen Bevölkerungsgruppen, insbesondere im Nordwesten Syriens, erreichen kann, und zwar frei von Hindernissen, Auflagen oder der Einmischung staatlicher und nichtstaatlicher Akteure. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, humanitäre Hilfe einzuschränken oder sie an Bedingungen zu knüpfen, wenn der Bedarf so hoch ist wie noch nie zuvor. Die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um den langfristigen, nachhaltigen und sicheren Zugang für humanitäre Hilfe im Nordwesten Syriens zu gewährleisten. Das beinhaltet auch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. 

Die Bedarfe in Libanon und Jordanien sind nicht weniger groß als in Syrien, da die Region mit Mittelkürzungen und den Folgen des globalen Wirtschaftsabschwungs konfrontiert ist. Der humanitäre Bedarf, der früher auf Geflüchtete beschränkt war, erstreckt sich nun auf die gesamte Bevölkerung. 80 Prozent der libanesischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Mehr als die Hälfte der jordanischen Bevölkerung ist heute von Ernährungsunsicherheit bedroht. Es ist maßgeblich, dass diese Aufnahmeländer längerfristige finanzielle Zusagen von der internationalen Gemeinschaft erhalten, die ihnen die Unterstützung für die absehbare Zukunft garantieren. 

Trotz des immer schwieriger werdenden Arbeitsumfelds, unterstützen IRC-Teams den Geflüchteten und den lokalen Gemeinschaften weiterhin mit neuen und innovativen Lösungen. In Libanon hatte ich das Privileg, unser bahnbrechendes Programm mit Sesame Workshop – Ahlan Simsim – zu besuchen, das inzwischen das größte frühkindliche Hilfsprogramm in der Geschichte der humanitären Hilfe darstellt. Seit fünf Jahren leistet Ahlan Simsim Pionierarbeit, indem es mit neuen Ansätzen für den Fernunterricht Kinder überall erreicht. Mit verstärkter Unterstützung und Partnerschaften kann Ahlan Simsim wachsen. Die lokal orientierten Lösungen und das Vertrauen, das wir mit dem Programm in den letzten fünf Jahren aufgebaut haben, können dadurch genutzt werden, um Lösungen für eine weitreichende und langfristige Wirkung anzupassen und die gewonnenen Erkenntnisse für Millionen von Kindern im Nahen Osten und Nordafrika umzusetzen. In Jordanien arbeitet IRC gemeinsam mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung an einem innovativen Finanzberatungsmodell, das die Stärken internationaler Finanzinstitutionen, Geber sowie humanitärer und entwicklungspolitischer Akteure zusammenbringt. Auf diese Weise sollen sowohl lokale Gemeinschaften besser unterstützt als auch die Wirkung von Investitionen verstärkt werden. In Syrien erprobt das Airbel Impact Lab neue Ansätze für ‘Seed Security’ (Saatgutsicherheit) von IRC, um sicherzustellen, dass Landwirt*innen den zunehmenden Klimaschocks standhalten und ihre Resilienz mit klimaangepasstem Saatgut aufbauen können. In den nächsten fünf Jahren sollen so 100.000 Menschen erreicht werden.      

Syrien, Libanon und Jordanien haben einen hohen Preis für die fehlende Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft bezahlt. Das Erdbeben im Februar hat uns gezeigt: Eine vergessene Krise ist keine gelöste Krise. Die drei Länder können es sich nicht leisten, weiterhin Krisen schutzlos ausgeliefert zu sein – anfällig für Katastrophen und dabei sich selbst und den Umständen überlassen. Was wir brauchen, sind Energie und finanzielle Mittel für den Wiederaufbau, für innovative Lösungen, die den Realitäten vor Ort gerecht werden, damit Familien ihr Leben wieder aufbauen und aus dem Kreislauf von Armut und Leid ausbrechen können.”