• 2,4 Millionen Menschen im Nordwesten Syriens laufen Gefahr, von lebensrettender Hilfe abgeschnitten zu werden, wenn die UN-Genehmigung für grenzüberschreitende Hilfe im Januar 2023 nicht verlängert wird.

  • 800.000 Menschen in dem betroffenen Gebiet leben derzeit in Zelten oder Behelfsunterkünften. In den kommenden Wintermonaten werden diese Unterkünfte stürmischen Winden, Minustemperaturen und möglichen Sturzfluten standhalten müssen.

  • IRC fordert den UN-Sicherheitsrat auf, die Genehmigung für grenzüberschreitende Hilfe um mindestens 12 Monate zu verlängern, um einen Anstieg der vermeidbaren Todesfälle zu verhindern.

Am 10. Januar 2023 muss die Resolution des UN-Sicherheitsrats für grenzüberschreitende Hilfe, auf die sich jeden Monat 2,4 Millionen Syrer*innen verlassen, unbedingt verlängert werden. Der harte Winter beginnt, warnt IRC. Bab Al-Hawa ist der letzte verbleibende Zugangsweg für die humanitäre Hilfe der UN von der Türkei nach Syrien und versorgt die Menschen im Nordwesten des Landes, wo schätzungsweise 4 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

Die UN-Genehmigung soll Anfang Januar im UN-Sicherheitsrat erneuert werden. Diese Verlängerung kommt zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt: Der Wintereinbruch mit eisigen Temperaturen, starkem Regen und Schneefall wird die ohnehin schon schwierigen Lebensbedingungen für die gefährdeten Bevölkerungsgruppen noch verschlimmern. 

Tanya Evans, IRC-Landesdirektorin für Syrien, sagt:

,,Jeden Winter erleben wir extreme Wetterbedingungen wie Schneestürme und Minustemperaturen, die durch den Klimawandel verursacht werden und die Gemeinschaften überfordern. In diesem Jahr ist die humanitäre Lage schlimmer als je zuvor, noch bevor der Winter begonnen hat. Die Preise für Treibstoff und Lebensmittel sind in die Höhe geschossen und für die meisten Menschen unerschwinglich geworden. Gleichzeitig werden die Güter für die humanitären Akteur*innen immer knapper. Die knappen Ressourcen in Verbindung mit dem Winter, einem Choleraausbruch und einer Wirtschaftskrise werden eine tödliche Mischung ergeben, wenn die einzige Lebensader, die in diesem Teil Syriens noch bleibt, geschlossen wird."

Die chronische Brennstoffknappheit, die hohe Inflation und die Wirtschaftskrise haben dazu geführt, dass arme Familien in diesem Winter keine Alternativen haben. Insbesondere gefährdet sind diejenigen, die in Lagern oder informellen Einrichtungen leben und noch weniger Zugang zu Heizung, Strom oder sauberem Wasser haben.

Fathiyeh*, eine 45-jährige vertriebene Syrerin im Nordwesten Syriens und Mutter von fünf Kindern, erzählt:

,,Mein Haus liegt im Erdgeschoss und es ist kein gesunder Ort zum Leben. Es hat weder Fenster noch einen Balkon, so dass die Sonne nicht hineinkommt. Mein Mann bringt uns Pappe aus dem Laden, in dem er arbeitet, und wir verbrennen sie, um uns zu wärmen. Wir haben nicht genug zu essen. Wir sind stark von der Hilfe aus der Türkei abhängig. Wir bekommen kein Brot, können uns kein Fleisch, kein Huhn und kein Gemüse leisten, und es gibt kein sauberes Wasser.”

Der erste Ausbruch der Cholera seit über einem Jahrzehnt bedroht das Leben der gefährdeten Bevölkerungsgruppen im Land weiter. Für die 63 Krankenhäuser, 170 primären Gesundheitszentren, 42 spezialisierten Versorgungszentren und 45 mobilen Kliniken, die derzeit im Nordwesten Syriens Gesundheitsdienste bereitstellen, bedeutet die UN-Genehmigung für grenzüberschreitende Hilfe eine zusätzliche Belastung für das ohnehin schon überforderte Gesundheitssystem. Eine Erneuerung ist unerlässlich, um lebenswichtige Dienste wie die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, damit nicht nur die Grundversorgung gewährleistet ist, sondern auch auf Notfälle wie den aktuellen Choleraausbruch reagiert werden kann.

Auf die Frage nach der Schließung von Bab Al-Hawa sagte Sara*, eine im Nordwesten Syriens tätige Hebamme:

,,Die Auswirkungen werden zerstörerisch sein. Ich sehe meine Patient*innen und sage mir, dass ich hierher gekommen bin, um ihnen zu helfen. Sie [die UN-Genehmigung für grenzüberschreitende Hilfe] stellt sicher, dass Medikamente und Lebensmittel zu den Menschen gelangen, die sie dringend benötigen. Es ist schon schwer, Menschen zu sehen, denen wir nicht helfen können. Und jetzt sollten wir auch darüber nachdenken, was passiert, wenn dieser Grenzübergang geschlossen wird. Wie sollen die Menschen dann Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten? Es wird ein langsamer Tod für die Menschen sein. Wenn ein Flugzeug angreift und Menschen tötet, wissen wir, dass wir nichts dagegen tun können. Aber die Schließung von Bab Al-Hawa wird ein Verbrechen sein, für das wir alle verantwortlich sind."

IRC fordert den UN-Sicherheitsrat auf, die Bedürfnisse der Menschen über die Politik zu stellen und die UN-Genehmigung für grenzüberschreitende Hilfe für 12 Monate wieder zu genehmigen, um sicherzustellen, dass keine Menschenleben unnötig verloren gehen.