• Bis September werden 20 Millionen Menschen in Äthiopien, Somalia und Kenia Hunger leiden, wovon mindestens drei Millionen von akutem und katastrophalem Hunger betroffen sind.

  • Laut IRC-Teams vor Ort verhungern bereits Menschen.

  • Bei der letzten Hungersnot 2011 starben 260.000 Menschen in der Region, was im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland ca 1,6 Millionen Toten entspräche.

In Ostafrika droht eine katastrophale Hungersnot: In der ersten Aktualisierung der jährlichen IRC Emergency Watchlist - dem Watchlist Crisis Alert: Unnatürliche Katastrophen in Ostafrika - wird darauf hingewiesen, dass ohne dringende internationale Hilfe über drei Millionen Menschen sterben könnten.  

Die Emergency Watchlist identifiziert die Länder, in denen sich die humanitäre Lage im Laufe des Jahres am stärksten verschlechtern könnte. IRC veröffentlicht eine Krisenwarnung angesichts der Auswirkungen des Ukrainekriegs, der - in Verbindung mit Klimawandel, Konflikten und COVID-19 - Ostafrika in eine vorhersehbare Krise getrieben hat. Diese Krise wird von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigt, und ist damit ein Beispiel für das Versagen des globalen Systems. 

Nach vier ausbleibenden Regenfällen in Folge verschlimmert sich der Hunger in Somalia, Äthiopien und Kenia von Woche zu Woche. IRC-Teams beobachten einen exponentiellen Anstieg der Unterernährung: Seit Januar 2022 hat sich die Zahl der Menschen fast verdoppelt, die in Somalia aufgrund der Dürre hungern. In Kenia sind mittlerweile dreimal so viele Menschen von einer Hungersnot bedroht. In einer IRC-Klinik in Mogadischu stieg von April bis Mai 2022 die Anzahl der Einweisungen von schwer unterernährten Kindern unter fünf Jahren um 265%. IRC-Teams vor Ort berichten, dass die Menschen bereits verhungern. 

Die Zahl der Menschen, die weltweit von extremem Hunger betroffen sind, hat einen neuen Höchststand erreicht. Trotz des Versprechens ,,nie wieder" eine Hungersnot katastrophalen Ausmaßes zuzulassen, ist die Dürre mit dem fünften ausbleibenden Regen nun die am längsten andauernde und tödlichste seit Jahrzehnten. Auf dem Höhepunkt der Hungersnot 2011, von der bis zu 14 Millionen Menschen betroffen waren, starben jeden Monat 30.000 Menschen. Dies führte zu einer Gesamtzahl von mindestens 260.000 Todesfällen. Zum Vergleich: Angepasst an die Bevölkerungszahl entspräche dies ca. 1,6 Millionen Toten in der Bundesrepublik, davon fast die Hälfte Kinder.

Vor diesem schrecklichen Hintergrund kämpft Ostafrika um die nötige Aufmerksamkeit und Finanzierung. Milliarden von Euro an Hilfsgeldern für die Ukraine werden bereitgestellt. Aber die internationale Gemeinschaft hat es versäumt, angemessen auf die globalen Auswirkungen zu reagieren, einschließlich der in die Höhe geschossenen Lebensmittel- und Kraftstoffpreise. Ostafrika ist besonders betroffen: Die Region importiert 90% ihres Weizens allein aus Russland und der Ukraine. Der UN-Hilfsplan für die Region ist mit 30% kaum finanziert. 

David Miliband, Präsident und CEO von IRC, sagt:

,,Hungersnöte sind nichts Natürliches. Die Ursachen für den extremen Hunger sind komplex. Doch das Abgleiten in eine Hungersnot und das Sterben tausender Menschen sind handgemacht, verschärft durch internationale Untätigkeit. Diese Krise war vorhersehbar und vermeidbar. Sie hat sich in den letzten zwei Jahren konstant verschlimmert, trotz wiederholter Warnungen. Wir beobachten nun eine unnatürliche Katastrophe von extremem Ausmaß.

Es bleibt keine Zeit, auf weitere Daten zu warten, die zeigen, was IRC bereits vor Ort sieht. Durch die gravierende Unterfinanzierung der humanitären Hilfe wird Millionen von Menschen dringend benötigte Hilfe vorenthalten. Die Alarmglocken für die Hungersnot läuten, aber die Weltgemeinschaft hört nicht zu. Es ist bereits zu spät, das Sterben der Menschen zu verhindern. Aber es gibt noch eine Chance, den Verlust von Menschenleben in einem katastrophalen Ausmaß zu verhindern. Eine sofortige Aufstockung der humanitären Hilfe ist die einzige Möglichkeit. 

Jeder Tag der Untätigkeit ist eine Frage von Leben oder Tod. Er ist Ausdruck eines umfassenderen des internationalen Systemversagens: Versagen bei der Prävention, Versagen bei der Reaktion und Versagen der globalen Führung. Jedes einzelne dieser Versäumnisse hätte für sich genommen eine Katastrophe verursacht, aber zusammen droht ein endgültiges Systemversagen in der Region. Hunderttausende von Menschenleben sind in Gefahr.”

Ralph Achenbach, IRC Deutschland Geschäftsführer, ergänzt:

,,Die Hungerkatastrophe in Ostafrika ist eine komplexe Krise, die schnelles Handeln und langfristiges Engagement erfordert. Humanitäre Akteure wie IRC leiten Mittel in die Ernährungssicherung um, um die dringendsten Bedarfe zu decken. Aber letztlich mangelt es allen humanitären Organisationen an Ressourcen. Ostafrika sollte nicht mit sichtbaren, heimatnahen Krisen konkurrieren müssen.

Ohne schnelle finanzielle Hilfe werden drei Millionen Menschen in Ostafrika verhungern. Setzt man diese Zahl in Relation zur Gesamtbevölkerung in Deutschland, entspräche dies 1,6 Millionen Toten, oder in den USA 6,5 Millionen. Wir dürfen keinen Unterschied machen, wer wo Hunger leidet. Hungertode sind vermeidbar, egal wo auf der Welt - und die internationale Gemeinschaft muss alles daran setzen, dies auch zu tun. 

Neben schneller finanzieller Unterstützung bedarf es langfristiger Programme zur Ernährungssicherung und landwirtschaftlichen Transformation in Ostafrika: es braucht eine geringere Abhängigkeit von der Regenfeldwirtschaft, und gestärkte Fähigkeiten der Gemeinden, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern und sich an sie anzupassen. Wir brauchen einen vorausschauenden Plan zur Ernährungssicherung, um langfristig Hungerkatastrophenen wie aktuell in Ostafrika vermeiden.”

Forderungen an die Weltgemeinschaft:

  1. Humanitäres System stärken: Um die Hungersnot in Ostafrika einzudämmen, muss die humanitäre Hilfe in vollem Umfang aufgestockt werden. Das UN-System sollte unverzüglich eine systemweite Notlage der Stufe 3 für Somalia ausrufen, was eine bessere Koordinierung aller Hilfsorganisationen und mehr zentrale Ressourcen aus UN-Mitteln möglich machen würde. Wichtig ist: Die Lehren aus früheren Bemühungen zur Abwendung einer Hungersnot zu ziehen und rasch in bewährte Ansätze zu investieren, einschließlich Bargeldhilfen, um den erweiterten Bedarf zu decken.
  2. Auswirkungen der Dürre bekämpfen: Die Geberregierungen müssen weitere 1,1 Mrd. Euro bis Ende des Jahres zur Verfügung stellen, um die Auswirkungen der Dürre zu bekämpfen. 
  3. Humanitären Zugang uneingeschränkt gewährleisten: Die Weltgemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen des Ukrainekonflikts auf den humanitären Zugang abzumildern und sicherzustellen, dass die Hilfe die Bedürftigsten erreichen kann. Die UN-Mitgliedsstaaten müssen alle Mechanismen nutzen, um die Verantwortlichen für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen. Dies schließt die Verweigerung von humanitären Zugang ein, was den Hunger und die Ernährungsunsicherheit verschärft.
  4. Globale Handelsherausforderungen bewältigen: Regierungen und die UN müssen sich auf höchster politischer Ebene dafür einsetzen, dass die russische Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen beendet und damit die weltweite Getreideknappheit gelindert wird.

IRC arbeitet in der gesamten Region in den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Schutz und Stärkung von Frauen sowie wirtschaftliche Entwicklung. Seit 1981 ist IRC in Somalia tätig, seit des Konflikts zwischen Somalia und Äthiopien, u.a. in Mogadischu, Puntland, Südwest- und Zentralsomalia. In Äthiopien ist IRC seit 2000 im Einsatz, nun auch vor allem zur Tigray Krise. In Kenia arbeitet IRC seit 1992. Die Programmarbeit in allen drei Ländern wird aktuell angepasst, um Familien und deren unterernährte Kinder zu versorgen, Bargeldhilfe zu leisten, Wasserquellen instand zu setzen sowie mobile Gesundheitsdienste zu unterstützen.