Mehr als zwei Wochen sind seit den verheerenden Überschwemmungen im Osten Libyens vergangen. Diese hatten nach Rekordregenfällen und dem Bruch zweier Dämme große Verwüstungen angerichtet. Die Katastrophe hatte Tausende von Todesopfern zur Folge und viele Menschen werden immer noch vermisst. International Rescue Committee (IRC) warnt vor den immensen psychologischen Auswirkungen, die die Notlage für die Menschen bedeutet. Dies betrifft insbesondere die Bevölkerung der Stadt Derna, einem der am stärksten betroffenen Gebiete. 

Zehntausende von Menschen wurden vertrieben, viele haben in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden Zuflucht gesucht, während manche in andere Gebiete Libyens fliehen mussten. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen in den betroffenen Gebieten nur teilweise oder gar nicht funktionsfähig. Die medizinischen IRC-Teams vor Ort berichten von einem Mangel an medizinischem Personal, Ausstattung, Medikamenten und Ausrüstung, während nun das ganze Ausmaß der Verwüstung deutlich wird. 

Der Zugang zu den betroffenen Gebieten ist aufgrund umfangreicher Infrastrukturschäden wie überschwemmten Straßen und eingestürzten Brücken nach wie vor sehr schwierig. Lokale Behörden und humanitäre Helfer*innen arbeiten unermüdlich daran, den Zugang zu den Gebieten Dernas und zu Gesundheits-, Wasser- und Sanitärversorgung wiederherzustellen.  

Vor allem Kinder tragen in dieser Krise eine große Last, da sie einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind, z.B. durch akute Diarrhoe und anderen durch Wasser übertragbaren Krankheiten. Es besteht außerdem die Gefahr von emotionalem Trauma, das aus dem Verlust von Familienmitgliedern und dem Gefühl von Normalität resultiert, da sie ihr Zuhause, ihre Schulen und teilweise ganze Nachbarschaften verloren haben.  

Majduldeen Alhlafi, Leiterin des medizinischen IRC-Teams in Libyen, sagt: 

„Die Verwüstung ist immens; die Menschen haben alles verloren und stehen immer noch unter Schock. Viele erleben derzeit schwere psychischen Belastungen. Heute trafen wir zum Beispiel auf einen scheinbar gesunden 12-jährigen Jungen, der aufgrund von Angst und Besorgnis unter starken Bauchschmerzen litt. Ich habe in der vergangenen Woche unzählige Geschichten gehört, die die psychologischen Auswirkungen dieser Krise verdeutlichen. Sie betrifft Menschen jeglicher Herkunft und jeden Alters. Das emotionale Trauma, das diese Krise bei den Menschen verursacht hat, ist schlichtweg katastrophal, deshalb muss die internationale Gemeinschaft dringend massiv in Maßnahmen für die psychische Gesundheit investieren.“ 

Elie Abouaoan, IRC-Landesdirektor für Libyen, sagt: 

„Ich habe die schrecklichen Folgen in Ostlibyen gesehen, die furchtbaren Schäden an der Infrastruktur in den betroffenen Gebieten und an der Gesellschaft im Allgemeinen. Wenn ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht werden, müssen Maßnahmen für das psychische Wohlbefinden der Betroffenen Hand in Hand gehen mit der Bereitstellung grundlegender Versorgung. Kinder, die von dieser Katastrophe betroffen sind, sind dabei besonders gefährdet. IRC weiß aus früherer Erfahrung mit Notsituationen auf der ganzen Welt, dass Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren extremem Stress und Verlust ausgesetzt sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit Verzögerungen in ihrer Entwicklung erfahren werden. Während sich die Notfhilfemaßnahmen zu längerfristigen Wiederaufbaumaßnahmen entwickeln, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Kinder und ihre Betreuungspersonen nicht nur Zugang zur Grundversorgung haben, sondern dass ihnen auch die Fürsorge zuteilwird, die sie brauchen, um sich wieder gesund entwickeln können." 

IRC stellt zusätzliche Maßnahmen zur Verfügung, um den von dieser Krise Betroffenen zu helfen, sich zu erholen. IRC unterstützt derzeit vier Gesundheitseinrichtungen in Derna und Sousa und versorgt in jeder 12-Stunden-Schicht mindestens 70 Menschen mit mobilen medizinischen Teams. Außerdem unterstützt IRC das Gesundheitsministerium bei der Einrichtung einer Abteilung für psychische Gesundheit und hat medizinisches Personal eigens zu diesem Zweck eingesetzt, um auf dringende Bedarfe reagieren zu können. Das Ärzt*innenteam besteht aus Fachleuten für Allgemeinmedizin, Orthopädie, Allgemeinchirurgie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Urologie, Dermatologie und Pädiatrie. In Derna versorgt IRC über mobile medizinische Teams seit letzter Woche im Durchschnitt 120 Menschen pro Tag mit Gesundheitsleistungen. Entsprechend wurden bis zum 1. Oktober bereits über 800 Menschen behandelt. Neben der Gesundheitsversorgung beteiligt sich IRC auch an Schutzmaßnahmen und arbeitet mit Organisationen zusammen, um wichtige Hilfsgüter in verschiedenen Städten zu verteilen. 

IRC fordert die internationale Gemeinschaft dringend dazu auf: 

  1. Die Mittel für psychosoziale Programme aufzustocken, um den tiefgreifenden Auswirkungen der Überschwemmungen auf das psychische Wohlbefinden der Bevölkerung entgegenzuwirken. 
  2. Betroffene Gesundheitseinrichtungen wiederherzustellen, um den Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten. Dabei müssen die Reparatur und der Wiederaufbau von Gesundheitseinrichtungen, die durch die Überschwemmungen beschädigt wurden, priorisiert werden. 
  3. Sicherzustellen, dass Kleinkinder und ihre Betreuungspersonen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Förderung haben, und  
  4. Dass Kinder im schulpflichtigen Alter schnellstmöglich wieder zur Schule gehen können. Dazu müssen die beschädigten Schulen und Lernorte so schnell wie möglich wiederaufgebaut werden und die betroffenen Gemeinden dabei unterstützt werden, das Lernen, die Entwicklung und das Wohlergehen ihrer Kinder zu fördern.