Der Netflix-Film Transatlantic erzählt die Geschichte, wie Varian Fry und das Emergency Rescue Committee (ERC) während des Zweiten Weltkriegs Tausende von Geflüchteten aus Vichy-Frankreich evakuiert haben. Diese Geschichte ist auch ein zentraler Bestandteil der Entstehungsgeschichte des International Rescue Committee. 

Hier erfahren Sie mehr über die Arbeit des Emergency Rescue Committee und über humanitäre Helfer*innen wie Varian Fry, Mary Jayne Gold und Albert Hirschman, die Transatlantic inspiriert haben. 

Still from Netflix series "Transatlantic".
Varian Fry wird von Schauspieler Cory Michael Smith (Mitte) in der neuen Netflix-Serie „Transatlantic“ dargestellt.
Foto: Netflix

Basiert Transatlantic auf einer wahren Begebenheit?

Die Netflix-Serie Transatlantic ist inspiriert von Julie Orringers historischem Roman The Flight Portfolio. Sie basiert auf der wahren Geschichte des amerikanischen Journalisten Varian Fry, einem der Gründer des Emergency Rescue Committee. In der französischen Stadt Marseille, in der Vichy-Region, unterstützten Fry und sein Team aus humanitären Helfer*innen mehr als 4.000 Menschen, die durch den Zweiten Weltkrieg vertrieben worden waren. Sie versorgten diese mit Bargeld und Arbeit. Das Team evakuierte 2.000 Menschen, die durch den wachsenden Nationalsozialismus bedroht waren. 

Was war das Emergency Rescue Committee? 

Gegründet wurde das Emergency Rescue Committee am 25. Juni 1940 bei einer Spendenaktion, die Varian Fry mitorganisiert hatte, um die Bedrohung durch die Nazis zu bekämpfen. 

Besonders besorgt war die junge humanitäre Organisation darüber, dass die französische Vichy-Regierung mit den Nazis eine „Surrender on Demand”-Klausel vereinbart hatte. Dieses Gesetz verpflichtete das Vichy-Regime, alle in französischen Gebieten lebenden Deutschen auf Anfrage an die Nazis auszuliefern. Es wurde schnell klar, dass dieser Gesetzesartikel dazu benutzt werden würde, Widerstandskämpfer*innen, Künstler*innen und Freidenker*innen ungeachtet ihrer Nationalität nach Nazideutschland zu deportieren. 

Daher wurden 200 Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die vom Vormarsch der Nazis in Europa bedroht waren, vom Emergency Rescue Committee ausfindig gemacht. Varian Fry wurde von der Organisation beauftragt, ihnen bei der Evakuierung zu helfen. 

A group of refugees pose for a photo onboard a ship that has departed from the port of Marseille.
Eine Gruppe von Geflüchteten, die vom Emergency Rescue Committee unterstützt wurden. Unter ihnen befindet sich auch der Künstler Wilfredo Lam, der sich auf die Schifffahrt von Marseille nach Martinique vorbereitet.
Foto: Holocaust-Museum der Vereinigten Staaten, Courtesy von Dyno Lowenstein

Wer war Varian Fry?

Varian Fry war ein 32-jähriger Journalist aus Virginia, der die wachsende Bedrohung durch die Nazi-Partei in Deutschland und Europa beobachtete, als er das Emergency Rescue Committee mitgründete. Er bemühte sich um politische Unterstützung für die Neuansiedlung von Geflüchteten in einer Zeit, in der viele Amerikaner*innen eine Politik der Abschottung befürworteten.

Fry und andere Gründungsmitglieder des Emergency Rescue Committee trafen sich mit der First Lady Eleanor Roosevelt, einer Unterstützerin der Organisation. Die First Lady sicherte mehreren Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die von den Nazis bedroht waren, Notfallvisa zu und schrieb ein Empfehlungsschreiben, mit dem Fry in Marseille tätig werden konnte. 

Mit 3.000 US-Dollar und einer Liste von 200 bedrohten Künstler*innen und Intellektuellen reiste Fry am 4. August 1940 nach Marseille. Kurz nach dem Beginn seiner Mission, erkannte der junge Journalist aber, dass noch viel mehr Menschen bedroht waren, als ursprünglich vermutet. Folglich erweiterte er seine Mission, um weitere Menschen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. 

Varian Fry leitete eine unglaublich komplexe und gefährliche Operation zur Rettung Tausender von Menschen aus dem von den Nazis kontrollierten Frankreich auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs.
Varian Fry in seinem Büro in Marseille, Frühling 1941. „Ich fühlte mich verpflichtet, zu helfen.“
Foto: Varian Fry Institute

Um sein Ziel zu erreichen, stellte Fry ein Team von Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen, die ihr Leben riskierten, um Geflüchteten vor dem wachsenden Einfluss der Nazis in Frankreich zu helfen. Von seiner Ankunft in Marseille an wurde Fry von der Polizei beobachtet. Das Team war ständigen Anfeindungen und gelegentlichen Verhaftungen durch die Vichy-Behörde ausgeliefert. Dennoch setzten sich Fry und seine Kolleg*innen unermüdlich dafür ein, dass die Geflüchteten das Land verlassen konnten. Dabei missachteten sie sogar das Gesetz, damit einige von ihnen ohne Papiere über die spanische Grenze gelangen. 
 

Ich habe in meinem Leben noch nie so hart und so lange gearbeitet. Seltsamerweise liebe ich die Arbeit, obwohl es jeden Tag Dutzende erschütternde Eindrücke gibt. Die Freude darüber, auch nur ein paar Menschen helfen zu können, macht die Schmerzen mehr als wett...”

Einige Beamte des US-Außenministeriums betrachteten Frys Bemühungen als kontraproduktiv für die Beziehungen zwischen den USA und Frankreich. Dies veranlasste den amerikanischen Konsul in Marseille, auf Frys Rückkehr in die USA zu drängen. Am 30. August 1941 wurde Fry von der Vichy-Polizei verhaftet und am folgenden Tag deportiert.

Obwohl er gezwungen war, den Kontinent zu verlassen, unterstützte Fry weiterhin Geflüchtete mit seinen eigenen finanziellen Mitteln und machte durch seine Publikationen auf die Zustände in Europa aufmerksam. 

Lange nach dem Krieg, im Jahr 1964, begann Fry mit der Arbeit an einer großen Spendenaktion zugunsten des International Rescue Committee. Dabei handelte es sich um unsere heutige Organisation, die 1942 aus dem Zusammenschluss des Emergency Rescue Committee und der International Relief Association (IRA) entstanden ist. Die Idee war es, ein Sammelband mit Grafiken von berühmten Künstler*innen wie Alexander Calder, Marc Chagall (den Frys Team aus Frankreich evakuiert hatte) und anderen zu verkaufen. Im Jahr 1971, vier Jahre nach Frys Tod, wurde eine begrenzte Anzahl von 250 Exemplaren der sogenannten „Fluchtmappe” (Flight Portfolio) verkauft, um die humanitäre Arbeit des International Rescue Committee zu unterstützen. 

Fry wurde 1994 von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nach seinem Tod zum „Gerechten unter den Völkern“ ernannt. Bei der Zeremonie entschuldigte sich US-Außenminister Warren Christopher für die Vorgehensweise seines Ministeriums gegenüber Fry während des Zweiten Weltkriegs. 

Wer war Mary Jayne Gold?

Mary Jayne Gold war eine amerikanische Erbin, die ihren Wohlstand nutzte und große Risiken auf sich nahm, um Geflüchteten zu helfen. Gold stammte ursprünglich aus Chicago und lebte im September 1939 in Paris, als der amerikanische Botschafter in Frankreich alle US-Bürger*innen aufforderte, das Land zu verlassen. 

Trotz der Warnung blieb Gold in Frankreich und suchte nach einer Möglichkeit, Geflüchteten zu helfen. Zuvor war sie selbst vertrieben worden, als die Nazis Paris besetzt hatten. Sie spendete sogar ihr eigenes Flugzeug dem französischen Militär. 

Gold trat Frys Team offiziell als Interviewerin und Kurierin bei. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei der Erweiterung der ursprünglichen Liste von 200 Künstler*innen und Intellektuellen und finanzierte persönlich die Evakuierung von Geflüchteten, die der „Gold List” beitraten. Ihr Vermögen ermöglichte die Anmietung der Villa Air-Bel, der Residenz, in der Fry, sein Team und eine Reihe einflussreicher Künstler*inne und Denker*innen wohnten und manchmal auch arbeiteten. 

[Der Einmarsch der Nazis] war wie das Ende der Welt, dass alles, woran man glaubte, von diesem bösen Ding überrollt wurde... aber auf der anderen Seite fühlte man, dass das nicht sein konnte... sie durften nicht gewinnen.

1941 war Mary Jayne Gold gezwungen, Frankreich zu verlassen. Es gelang ihr, Informationen über die französische und spanische Grenze zu britischen Geheimdienstagenten in Lissabon zu schmuggeln. Nach ihrer Rückkehr in die USA arbeitete sie für das neu gegründete International Rescue Committee und absolvierte ein Psychologiestudium mit Spezialisierung auf Kriminalpsychologie. 

Wer war Albert Hirschman?

Albert Hirschman war ein jüdisch-deutscher Humanist und Aktivist. Der 1915 in Berlin geborene Hirschman arbeitete für eine politische Gruppe, die sich gegen die Nazipartei stellte, bevor er sich im Spanischen Bürgerkrieg der republikanischen Fraktion anschloss. Er verbrachte auch einige Zeit in Italien, wo er im politischen Widerstand gegen die Mussolini-Diktatur tätig war, bevor ihn die antijüdischen Gesetze zwangen, nach Paris zu fliehen. Dort fälschte er beim Einmarsch der Nazis Dokumente, die ihn als französisch-amerikanischen Staatsbürger auswiesen.  

Still from Netflix series "Transatlantic".
Lucas Englander als Albert Hirschmann (links) und Cory Michael Smith als Varian Fry (rechts) in der Netflix-Serie „Transatlantic“, die die Geschichte von Fry und seinem Team bei der Evakuierung von Flüchtlingen aus Vichy-Frankreich erzählt.
Foto: Netflix

Hirschman lernte Varian Fry in Marseille kennen und schloss sich bald seinem Team an. Er arbeitete unermüdlich als Frys rechte Hand, um die Evakuierung von Verfolgten zu unterstützen. Er warb die österreichische Linkssozialistin Lisa Fittko und ihren Ehemann Hans an, die dabei halfen, Geflüchtete über die Pyrenäen nach Spanien zu schmuggeln.  

Dank seiner gefälschten Papiere war Hirschman relativ sicher, wurde aber schließlich von der Vichy-Polizei gesucht. Nachdem er im Juni 1941 bei einer Razzia in der Villa Air-Bel einer Verhaftung entgangen war, floh auch er über die Pyrenäen und schließlich nach Lissabon und von dort per Schiff nach New York City. 

In den USA angekommen, erhielt Hirschman ein Stipendium der Rockefeller Foundation und diente bis Kriegsende zwei Jahre lang im Nachrichtendienst der US-Armee. Er wurde ein bekannter Wissenschaftler und Fakultätsmitglied am Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey.

European refugees stand facing the camera, on board converted cargo ship sailing from Marseilles to Martinique, March 25, 1941.
Europäische Geflüchtete, die vom Emergency Rescue Committee betreut wurden, an Bord der Capitaine Paul-Lemerle. Das umgebaute Frachtschiff fuhr von Marseille nach Martinique, 25. März 1941.
Foto: United States Holocaust Memorial Museum

Gibt es die Villa Air-Bel wirklich? 

Die Villa Air-Bel war ein Wohnhaus am Stadtrand von Marseille, das nicht nur als inoffizielles Büro des Emergency Rescue Committee und als Unterschlupf diente. Sie diente auch als kultureller Treffpunkt für Künstler*innen und Intellektuelle, die von den Nazis bedroht waren. Die Aktivistin Mary Jayne Gold finanzierte diese Einrichtung. 

Während Fry und Hirschman Evakuierungspläne diskutierten, setzten eine Reihe prominenter Kunstschaffender darunter Wilfredo Lam, Max Ernst, Consuelo de Saint-Exupéry und Marcel Duchamp, ihre künstlerische Arbeit trotz des Krieges fort. André Breton und seine Frau Jaqueline luden regelmäßig sonntags zu kleinen Versammlungen auf dem Gelände der Villa ein, um den Kreativen und ihren Helfern eine Pause zu gönnen 

Die Villa Air-Bel wurde 1970 abgerissen, um Platz für den Wohnkomplex Cité Air-Bel zu schaffen. Ihr kreativer Geist lebt in Form von Bildhauerkursen für Kinder aus der Nachbarschaft und einem kommunalen Fernsehstudio weiter.  

Im Jahr 2015 richtete International Rescue Committee das  Airbel Impact Lab ein, um humanitäre Lösungen für Menschen, die von Konflikten und Katastrophen betroffen sind, zu entwickeln, zu testen und zu skalieren. Das nach dem berühmten Wohnhaus benannte Airbel Impact Lab steht für den Erfindungsreichtum und den Innovationsgeist von Varian Fry und seinem Team. 

Eine Gruppe von Künstlern posiert für ein Foto vor der Villa Air-Bel. Die Gruppe lächelt und einer der Künstler ist auf einen Baum geklettert.
Eine Gruppe von Künstler*innen, darunter André und Jacqueline Breton, Jacques Herold, Oscar Dominguez sowie Wifredo und Helene Lam auf dem Gelände der Villa Air-Bel.
Foto: Holocaust-Museum der Vereinigten Staaten United States Holocaust Museum, courtesy of Cynthia Jaffee McCabe

Wie wurde das International Rescue Committee gegründet? 

Als die Nazis die in Europa ansässige International Relief Association im Juli 1933 zur Einstellung ihrer Tätigkeit zwang, wandte sich einer der Gründer der Organisation mit der Bitte um Unterstützung an die USA. Es war Albert Einstein. Der berühmte Physiker, der selbst ein Flüchtling war, berief ein Komitee von 51 einflussreichen Persönlichkeiten in New York ein und überzeugte sie davon, eine amerikanische Sektion der International Relief Association zu gründen. Deren Aufgabe sollte es sein, Menschen zu unterstützen, die vom Naziregime verfolgt wurden. 

Im Jahr 1942 fusionierte die International Relief Association mit dem Emergency Rescue Committee, das Varian Fry wenige Jahre zuvor mitbegründet hatte, zum International Rescue Committee (kurz International Relief and Rescue Committee genannt). Seit 90 Jahren leisten wir humanitäre Hilfe für Menschen in Not.  

Heute setzen wir die Geschichte von Varian Fry fort, indem wir Geflüchtete dabei unterstützen, ihr Leben neu aufzubauen und humanitäre Hilfe in über 45 von Krisen betroffenen Ländern auf der ganzen Welt leisten.