Im Jemen sind nach vier Jahren Krieg fast 80 Prozent der Bevölkerung auf ausländische Hilfe angewiesen. Am stärksten leiden die Frauen unter dem Konflikt.

Schon vor dem Krieg war es nicht einfach als Frau im Jemen zu leben. Das tief verwurzelte Patriarchat in diesem Land bedeutet, dass viele Frauen und Mädchen keine Entscheidungen über die Finanzen ihrer Familie oder den Haushalt treffen und sich nicht frei bewegen können. Außerdem ist ihr Zugang zu Bildung, Einkünften und Gesundheitsdiensten begrenzt.

Eine Frau im schwarzen GEwand hält ein Baby mit grüner Kleidung im Arm
Nadia Mohammed Fadhl mit ihrem Sohn Mater in ihrem Zufluchtsort im Vorort Bir Ahmed am Rande von Aden, Jemen. Nadia floh mit ihrer Familie aus ihrem Haus in Taiz, als die Kämpfe in der Region ausbrachen.
Foto: Will Swanson/IRC

Seit 2006 liegt Jemen auf Platz eins des Gender-Gap-Index des World Economic Forum, der die fehlende Gleichstellung der Geschlechter aufzeigt. Damit wird das Land als schlimmster Ort der Welt für eine Frau eingestuft. Hier sind vier Konsequenzen, die sich aus dem Konflikt im Jemen für das Leben von Frauen und Mädchen ergeben:

1. Durch den Krieg erhöht sich die Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Schon vor dem Krieg war Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Jemen weit verbreitet. Der Konflikt hat die Situation jedoch deutlich verschärft. Laut den Vereinten Nationen nahmen Missbrauch und Übergriffe gegen Frauen um 63 Prozent zu. Die im Jemen arbeitenden Teams des International Rescue Committee haben festgestellt, dass jugendliche Mädchen zu der am stärksten gefährdeten Gruppe gehören, ebenso wie Frauen, die unverheiratet, geschieden oder Kopf eines Haushalts sind.

In einer patriarchalischen Gesellschaft wie der im Jemen gelten Männer als „Schutzschilder“ für Familien. Ohne ihren Schutz sind Frauen körperlichen Angriffen und sexueller Belästigung ausgesetzt. Der Krieg führt zu einem Mangel an Wasser sowie Gütern auf den lokalen Märkten. Dadurch sind Frauen weiteren Gefahren ausgesetzt, wenn sie größere Entfernungen zurücklegen müssen, um Vorräte für ihre Familien zu besorgen.

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Auch Zuhause sind Frauen nicht sicher: Im Jemen haben der Kriegsalltag und die wirtschaftlichen Zusammenbrüche zu einem starken Anstieg von häuslicher Gewalt geführt. Dazu trägt die Verlagerung der Geschlechterrollen bei, da Frauen außerhalb des Haushalts Arbeit suchen, um ihre Familien zu unterstützen.

Rund drei Millionen Frauen und Mädchen im Jemen sind von geschlechtsbasierter Gewalt bedroht. Es gibt keine Gesetze, die sie ausdrücklich schützen.

Täter kommen mit Straffreiheit davon - während Überlebende von sexueller Gewalt und Missbrauch nur begrenzten Zugang zur nötigen medizinischen Versorgung und Beratung haben. Da sich humanitäre Organisationen in Krisenregionen oft auf die Bereitstellung lebensrettender Maßnahmen konzentrieren, geraten die Bedürfnisse der Überlebenden geschlechtsbasierter Gewalt oft in den Hintergrund.

Eine Frau in einem langen, schwarzen Gewand steht mit zwei kleinen Kiindern im Arm vor einer Ruine
Eine vertriebene Frau steht mit ihren Zwillingstöchtern Yusra und Yumna vor einem Haus, das sie in einer Siedlungam Rande von Aden, Jemen, mietete. „Wir sind zwei Familien, die in diesen beiden Zimmern leben und keine Küche haben".
Foto: Will Swanson/IRC

2. Frauen und Kinder werden ausgehungert

Bereits vor dem Krieg war der Jemen eines der ärmsten Länder der Welt. Jetzt herrscht im Land eine akute Hungersnot. Die Wirtschaftskrise, der Zusammenbruch der Grundversorgung, reduzierte Importe von Nahrungsmitteln und Treibstoffen sowie die sinkende Nahrungsmittelproduktion haben zu weitreichender Unterernährung geführt. Der Konflikt hat die Infrastruktur für Gesundheits-, Wasser- und Sanitärversorgung zerstört.

Derzeit sind 1,8 Millionen Kinder sowie 1,1 Millionen Schwangere und Mütter von Kleinkindern akut unterernährt. Das Gesundheitssystem ist mit der Situation überfordert, die medizinische Infrastruktur weitgehend zerstört. Frauen haben keinen Zugang zu der gynäkologischen Betreuung, die sie benötigen. Schon die Geburt stellt eine Frau vor ein “extremes Risiko”, so die Vereinten Nationen.

3. Mädchen können nicht zur Schule gehen.

Mehr als zwei Millionen Kinder im Jemen. Schulen sind zerstört, Lehrkräfte warten seit Monaten auf ihr Gehalt. Um ein Einkommen zu sichern, haben viele ihre Lehrtätigkeit aufgegeben.VAuch viele Kinder müssen die Schule verlassen, um ihre Familien mit Gelegenheitsjobs zu unterstützen.

Der Konflikt hat auch die Fortschritte wieder rückgängig gemacht, die hinsichtlich verbesserter Schulbildung von Mädchen in den letzten zwei Jahrzehnten erzielt wurden. So wurde ein Gesetzesvorschlag verworfen, der 18 Jahre als Mindestalter für die Ehe und den Schulbesuch von Mädchen vorsah.

Da der Krieg die Familien tiefer in die Armut treibt, verheiraten Eltern ihre Töchter immer früher. Die vor dem Krieg übliche Zahl der Zwangs- und Frühehen von Mädchen hat sich in den letzten vier Jahren verdreifacht.

Frauen sind Teil der Lösung

Vor dem Krieg engagierten sich Frauen in den politischen Prozessen des Landes und kämpften für ihre Anerkennung als gleichberechtigte und unabhängige Bürgerinnen. Obwohl sie die Bevölkerungsgruppe sind, denen der Krieg am meisten abverlangt, spielen sie eine entscheidende Rolle im Friedensprozess in ihren Gemeinden.

Dennoch sind Frauen in Friedensgesprächen unterrepräsentiert, wie sich am Waffenstillstandsabkommen für die Hafenstadt Hodeidah zeigte, das im Dezember 2018 in Schweden verhandelt wurde.

Für den Konflikt im Jemen gibt es keine militärische, sondern nur eine diplomatische Lösung. Und die Jemeniten können nicht länger warten: Beide Seiten müssen Beschränkungen humanitärer Hilfe aufheben - sowohl die Huthi-Bewegung  als auch die saudi-arabisch angeführte Koalition, die den aktuellen Präsidenten im Jemen unterstützt. Zudem müssen die Staats- und Regierungschefs der Welt ihre Hilfsverpflichtungen einhalten. Die Aufhebung der Blockade lebenswichtiger Grundversorgung und die Beendigung des Leidens im Jemen müssen bei der nächsten Runde der Friedensgespräche eine Priorität sein - und Frauen müssen einen Platz am Tisch haben.

Eine Frau mit einem schwarzen Gewand hält ein Baby im Arm und neben ihr steht eine Ärztin des IRC`S
Dr. Dunia Najeeb Othman steht mit Zahra Ahmed und ihrem Neugeborenen Kind, in einem vom IRC unterstützten Krankenhaus im Bezirk Al Buraiqa am Rande von Aden, Jemen. Das International Rescue Committee unterstützt das Distriktkrankenhaus bei der Versorgung von Familien.
Foto: Will Swanson/IRC

 

Wie IRC hilft

Seit 2012 unterstützt IRC die Menschen im Jemen. Heute stellen wir lebensrettende Soforthilfe, sauberes Wasser und medizinische Versorgung für Millionen von Jemeniten zur Verfügung, die vom gewalttätigen Konflikt und der wachsenden Gesundheitskrise betroffen sind.

Eine Frau sitzt mit vier Kindern auf einer Treppe ohne Geländer und alle schauen in die Kamera
Vertriebene Frau Nabiha Ahmed Thabit, 35, mit ihrer Familie in einer mobilen IRC-Klinik im Vorort Bir Ahmed am Rande von Aden.
Zwei von Nabiha's Kindern litten unter Unterernährung und wurden vom mobilen Gesundheitsteam des IRC unterstützt.
Foto: Will Swanson/IRC