Seit April ist die Zahl der Todesfälle bei Kindern infolge von Unterernährung um 54 Prozent gestiegen. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium haben mehr als 85 Kinder den Hungertod erlitten.
Allein im Juli starben 63 Menschen – darunter 24 Kinder unter fünf Jahren – an den Folgen von Hunger. Die meisten von ihnen zeigen laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anzeichen schwerer Unterernährung.
In Gaza-Stadt ist inzwischen fast jedes fünfte Kind unter fünf Jahren akut unterernährt – das ist dreimal so viel wie noch im Juni.
Amman, Jordanien, 29. Juli 2025 — International Rescue Committee (IRC) warnt eindringlich: zeitlich begrenzte „taktische Pausen”, Luftabwürfe und andere symbolische Gesten reichen angesichts der sich dramatisch verschärfenden Hungerkrise in Gaza nicht aus. Die rasant steigende Kindersterblichkeitsrate infolge von Unterernährung sowie die vorherrschende Hungersnot machen deutlich: Jede Einstellung der Kampfhandlungen muss eine Beendigung der nahezu vollständigen Blockade Israels bedeuten. Nur so kann nachhaltige, groß angelegte Versorgung der Zivilbevölkerung über sichere Landwege gewährleistet werden. Treibstoff, Lebensmittel, sauberes Wasser und Strom müssen alle Teile Gazas erreichen – kurze Pausen reichen nicht aus.
Luftabwürfe bieten kaum mehr als symbolische Hilfe. Sie sind teuer, ineffizient und können den dringenden Bedarf nicht decken. Die Folgen der Blockade sind verheerend: Bäckereien sind geschlossen, die Lebensmittelpreise sind um 700 Prozent gestiegen, und fast ein Drittel der Bevölkerung muss ganze Tage ohne Nahrung auskommen.
IRC-Teams vor Ort berichten, dass Familien zunehmend von Linsenwasser und Wildkräutern leben. In manchen Gegenden teilen sich Kinder eine einzige Gurke für den ganzen Tag – viele sind bereits zu schwach, um Hilfe zu suchen. Das sind die unübersehbaren Zeichen fortschreitender Hungersnot: Der Körper schaltet ab, das Immunsystem bricht zusammen, Organe versagen. Das ist nicht nur Hunger – das ist ein langsamer, menschengemachter Tod durch Verhungern.
IRC-Mitarbeitende in Gaza sind nicht nur direkte Zeugen der Hungerkrise, sie erleben sie selbst – zusammen mit den Gemeinden, denen sie helfen.
Abdelraheem Hamad, IRC-Mitarbeiter in Gaza, berichtet: „Menschen brechen vor Hunger auf den Straßen zusammen. Einmal sah ich ein Kind, das in einem Müllhaufen nach Essen suchte. Es fand nichts – es gibt keine Essensreste mehr. Die Situation ist nicht mit Worten zu beschreiben. Zu Hause hatte ich nur zwei Brote für sechs Personen. Wir sind nicht mehr nur Zeugen von Hunger – das ist Hungersnot in Echtzeit.“
Meine Kolleg*innen erleben dieselbe Verwüstung. Manche strecken eine einzige Mahlzeit über den ganzen Tag, andere verzichten selbst aufs Essen, damit ihre Kinder etwas haben. Wir kämpfen gegen die Zeit und den Hunger – und wir verlieren.“
Rania Al Shrehi, ebenfalls eine IRC-Mitarbeiterin, fügt hinzu: „Das Weinen hungernder Kinder hört nie auf. Jeden Tag klopfen Menschen an unsere Türen und bitten um Essen – nicht um Geld, nur um Brot.”
Yahya Mansour, ein weiterer Mitarbeiter des IRC, sagt: „Wir haben seit vier Monaten keine volle Mahlzeit mehr gegessen. Jetzt will mein Kind nur noch ein Stück Brot – und meistens habe ich nichts, was ich ihm geben kann.“
IRC fordert die sofortige, uneingeschränkte Wiederaufnahme der humanitären Hilfe über alle Landübergänge in Gaza. Alle Blockaden und Beschränkungen, die lebenswichtige Hilfe verzögern oder verhindern, müssen aufgehoben werden. Humanitäre Organisationen brauchen sicheren, dauerhaften und ungehinderten Zugang zu allen bedürftigen Gemeinden.
David Miliband, Präsident und CEO von International Rescue Committee (IRC), kommentiert: „Die Bilder, Zeugenaussagen und Statistiken aus Gaza lassen keinen Raum für Zweifel. Sie zeichnen ein klares Bild einer humanitären Hölle. Wir erleben keine Naturkatastrophe, sondern eine von Menschen verursachte humanitäre Katastrophe. Wir haben wiederholt davor gewarnt, dass die Blockade zusätzlich zu Krieg und Zerstörung eine lebensbedrohliche Katastrophe verursachen wird. Jetzt ist es soweit – das ist nicht zu rechtfertigen.
Die Kinder in Gaza sind nicht nur hungrig – sie verhungern. IRC-Mitarbeitende und unsere palästinensischen Partner sind erschöpft. Sie stellen Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung, Wasser und sanitäre Einrichtungen bereit – und selbst Hunger leiden sowie unerbittlichen Bedrohungen für ihr Leben und das ihrer Familien ausgesetzt sind. Sie sind nicht nur Zeugen dieser Krise, sie erleben sie am eigenen Leib.
IRC hat mehrere Tonnen lebensrettender Hilfsgüter bereitstehen, die nach Gaza gebracht werden sollen – genug, um Tausende von Menschen zu versorgen und ein zusammenbrechendes Gesundheitssystem zu unterstützen. Doch sie verkommen an der Grenze, während Krankenhäuser verfallen und Kinder sterben.
Offizielle Hungersnot-Erklärungen hinken immer der Realität hinterher. 2011 starben bei der Hungersnot in Somalia bereits 250.000 Menschen – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren –, bevor die Krise offiziell ausgerufen wurde. Wenn Hungersnot ausgerufen wird, ist es für viele bereits zu spät. Für zu viele in Gaza ist es das bereits.
Die Lösung ist ganz einfach. Wir brauchen dringend die Öffnung aller Landesgrenzen und ungehinderten humanitären Zugang, um Menschen in Not zu erreichen. Gaza muss mit Hilfsgütern überschüttet werden, nicht mit symbolischen Luftabwürfen. Diese sind teuer, ineffizient und gefährlich.
Es ist niemals falsch, Menschen in Not zu unterstützen. Die Krise in Gaza ist nicht die einzige der Welt, aber ihre Lösung ist klar – es gibt keine Ausreden. Essen zu geben fördert keinen Terrorismus, es rettet Leben. Nicht zu helfen ist die wahre Gefahr.
In den nächsten Tagen werden Tausende Kinder in Gaza entweder gerettet – oder müssen sterben. Diese Entscheidung liegt bei uns allen. Dass darüber überhaupt noch diskutiert wird, zeigt, wie sehr das internationale System versagt hat. Bei dieser Frage gibt es keine zwei Seiten.“