Berlin, 3. September 2025 — Anlässlich der Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt 2025 am 4. September warnt International Rescue Committee (IRC) Deutschland vor den Konsequenzen tiefgreifender Kürzungen, welche über Jahre die Solidarität mit Menschen in Krisenregionen sowie Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland untergraben werden. Während die Ausgaben für Verteidigung und Investitionen in andere Bereiche steigen, geraten ausgerechnet jene Budgetlinien unter Druck, die für Integration, gesellschaftliche Teilhabe und Deutschlands humanitäre Verantwortung von zentraler Bedeutung sind. Diese Kürzungen werden die Wirksamkeit deutscher Beiträge zu globaler Solidarität sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Integration langfristig schwächen.
Besonders betroffen von den Kürzungen sind:
- Integration und gesellschaftliche Teilhabe: Die Bundesregierung plant drastische Kürzungen im Bereich der Integration, mit weitreichenden Folgen für gesellschaftliche Teilhabe und soziale Stabilität. Die ausreichende Finanzierung von Integrationskursen ist offen, spezielle Angebote für Frauen, Eltern und Jugendliche entfallen vollständig. Auch psychosoziale Unterstützungsprogramme sind massiv betroffen. Das ist ein Rückschritt für Integration und Chancengleichheit, und reiht sich ein in die politische Fokussierung auf Grenzsicherung und Reduktion ankommender Menschen. Beispielhaft für diese Verschiebung steht die Kürzung des Haushaltstitels „Unterstützung für Flüchtlingsprojekte“ der Integrationsbeauftragten. Die Streichung sendet ein klares Signal - Integration und gesellschaftliche Teilhabe sind keine Priorität mehr.
- Humanitäre Aufnahme- und Resettlement-Programme: Im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, alle freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme zu beenden. Zugesagte Resettlement-Plätze sowie der Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten wurden ausgesetzt und sogar die Fortführung erfolgreicher Landesaufnahmeinitiativen blockiert. Besonders die rechtlich verbindlichen Zusagen im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan werden nicht umgesetzt: Seit Sommer 2024 wurden keine neuen Aufnahmezusagen mehr ausgesprochen. Rund 2.300 Afghan*innen mit gültiger Zusage - darunter viele Kinder - sitzen weiterhin in Pakistan fest, ohne Aussicht auf Einreise nach Deutschland. Zudem besteht für viele von ihnen das ernstzunehmende Risiko, von den pakistanischen Behörden zur Rückkehr nach Afghanistan gedrängt zu werden. Ihre Situation ist hochgradig vulnerabel. Erst vor wenigen Tagen hat die pakistanische Regierung hunderte Menschen aus dem deutschen Aufnahmeprogramm in ihr Herkunftsland abgeschoben, ein besorgniserregender Rückschritt für den Schutz und die Glaubwürdigkeit deutscher Zusagen. Für den Haushaltsentwurf 2026 ist die Budgetlinie für Resettlement und humanitäre Aufnahmen nicht mehr eingeplant.
- Internationale Krisenhilfe: Die Bundesregierung plant drastische Kürzungen bei der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit, die Menschen in fragilen und bewaffneten Krisenkontexten besonders treffen werden. Allein die Mittel für humanitäre Hilfe im Ausland sollen um 53 Prozent reduziert werden. Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) entwickelte Kriseninstrument der Übergangshilfe, das in Krisenregionen nach akuter Nothilfe Stabilität schaffen soll, wird um ein Viertel gekürzt. Diese Einschnitte gefährden die Kontinuität lebensrettender Projekte und könnten dazu führen, dass Millionen von Menschen weltweit lebensnotwendige Unterstützung und der Wiederaufbau von Krisenresilienz entzogen wird. Auch die internationale Klimafinanzierung ist von Kürzungen bedroht, unter anderem die Unterstützung für Gemeinschaften im globalen Süden, die schon heute überproportional von der Klimakrise betroffen sind.
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin IRC Deutschland, erklärt:
„Hilfsorganisationen und die deutsche Zivilgesellschaft arbeiten seit fast einem Jahr im Ausnahmezustand, denn seit dem Zusammenbruch der Ampelregierung fehlt ein verabschiedeter Bundeshaushalt und damit Planbarkeit in der öffentlichen Finanzierung. Die Folgen: Projekte sind massiv eingeschränkt, laufende Maßnahmen mussten beendet werden, Expertise geht verloren. Unsere Partnerorganisationen und IRC-Klient*innen sind direkt betroffen.
Besonders deutlich zeigt sich das bei humanitären Aufnahmeprogrammen und den überproportionalen Kürzungen der Kriseninstrumente von AA und BMZ. Statt bestehende Strukturen zu stärken, wird die Finanzierung und der Handlungsspielraum entzogen. Die Folgen sind gravierend: Deutschland blockiert erprobte, sichere Zugangswege für besonders schutzbedürftige Menschen und zieht sich aus der geteilten globalen Verantwortung für die Unterstützung von Menschen in Not zurück. Das untergräbt Vertrauen - bei internationalen Partnern und betroffenen Menschen.
Die haushaltspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung unter CDU und SPD zeigen deutlich: Integration, globale Solidarität, gesellschaftliche Teilhabe und humanitäre Verpflichtungen haben keinen Platz mehr auf der politischen Prioritätenliste. Damit werden nicht nur Geflüchtete in Deutschland und Menschen in Krisenregionen getroffen - langfristig tragen wir alle die Kosten dieser kurzsichtigen Entscheidungen.”
Lisa Küchenhoff, Gesamtleitung Deutsche Programme, kommentiert:
„Zehn Jahre sind seit Angela Merkels „Wir schaffen das“ vergangen - und tagtäglich zeigt sich, was unsere Gesellschaft in dieser Zeit gelernt und geleistet hat. Was wir vor allem sehen: Was Menschen mit Fluchterfahrung selbst bewältigen und schaffen mussten, um hier Fuß zu fassen. Deutschland ist vielfältiger geworden und wir haben besser verstanden, was es braucht, um neuankommende Menschen willkommen zu heißen und ihnen echte, langfristige Teilhabe zu ermöglichen. Noch nicht alles ist gelungen, aber anstatt weiter daran zu arbeiten und auf dem Gelernten aufzubauen, stehen nun massive Rückschritte bevor.
Was es jetzt braucht, sind Investitionen in Chancen und Teilhabe - keine Kürzungen. Unsere IRC-Programme in Deutschland zeigen deutlich: Menschen wollen Deutsch lernen, arbeiten, ihre Qualifizierungen ausbauen und ihre Kinder fördern. Wenn ihnen diese Möglichkeiten eröffnet werden, gelingt es auch. Der Staat sollte dies durch gezielte Förderprogramme und Unterstützungsangebote stärken - nicht durch Einschränkungen erschweren. Dafür braucht es langfristige, verlässliche Finanzierung für zivilgesellschaftliche Organisationen, die nachhaltige Integrationsarbeit ermöglicht, Innovation begünstigt und passgenaue Angebote für besonders schutzbedürftige Gruppen in den Blick nimmt. Nur so kann das, was in den letzten zehn Jahren geschafft wurde, auch in Zukunft tragen.”
IRC Deutschland fordert die Bundesregierung auf, Integration, Humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Klimafinanzierung und humanitäre Aufnahmeprogramme weiterhin strukturell und finanziell zu fördern und im Haushalt für die kommenden Jahre klar zu berücksichtigen. Investitionen in Sprachförderung, Teilhabe und sichere Zugangswege sind Investitionen in eine widerstandsfähige Gesellschaft und stärken Solidarität und Menschlichkeit - in Deutschland und weltweit.