Berlin, 15. Mai 2025 — Konflikte, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung zwingen Menschen weltweit zur Flucht. Oft werden Familien dabei auseinandergerissen. Während ein Teil der Familie bereits in Deutschland Schutz finden kann, bleiben Familienmitglieder in Konfliktgebieten oder Flüchtlingslagern auf der Fluchtroute zurück. Eine Rückkehr ist aufgrund der politischen oder humanitären Lage meist unmöglich. Damit bleibt der Familiennachzug nach Deutschland oft die einzige Möglichkeit, wieder in Sicherheit zusammenzuleben.
Der Wert von Familie sowie der Schutz und die Förderung von Kindern gehören zum Fundament unserer Gesellschaft. Auch das Völkerrecht (v.a. Art. 8 EMRK, Art. 3, 10 UN-KRK), das europäische Grundrecht (Art. 7, 24 Abs. 2 GRCh) und das deutsche Grundgesetz (Art. 6 GG) schützen das Recht auf Familie und die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls.
Familiennachzug ist eine planbare, integrationsfördernde und rechtssichere Möglichkeit, um Schutzsuchende aus Kriegs- und Krisengebieten aufzunehmen. Das Vorhaben, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte auszusetzen, stellt einen migrations- und integrationspolitischen Rückschritt dar. Schon nach den aktuellen Regelungen ist der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten auf 12.000 Personen im Jahr stark begrenzt. Ein Aussetzen hätte einen erheblichen menschlichen Preis, jedoch keine signifikanten Auswirkungen auf die Auslastung der Kommunen. Die Erfahrungen seit der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte nach 2016 zeigen zudem: Einschränkungen oder gar die Aussetzung entlasten weder Gerichte noch Behörden, sondern führen zu erheblicher Mehrbelastung durch unzählige Eilverfahren und Verfahren zur Aufnahme im Einzelfall.
Die Aussetzung des Familiennachzugs führt zu langjährigen und schmerzhaften Trennungen von Familienmitgliedern. Die Trennung von den Eltern und Geschwistern kann bei Kindern erhebliche psychische Belastungen und Traumata verursachen, die langfristige Auswirkungen auf sie und das Familiengefüge nach sich ziehen können. Vom Aussetzen des Familiennachzugs wären insbesondere Frauen und Kinder betroffen, die allein in Konfliktregionen zurückbleiben oder sich auf gefährliche Fluchtrouten begeben müssten.
Statt den Familiennachzug einzuschränken, sollte die Bundesregierung die nächste Legislaturperiode nutzen, um den Familiennachzug effizienter zu gestalten:
- Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten erhalten: Personen mit subsidiärem Schutzstatus sollten im Hinblick auf den Familiennachzug den Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt werden, da auch bei ihnen regelmäßig eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit vorliegt und die Differenzierung beim Familiennachzug weder mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 14 i. V. m. Art. 8 EMRK) noch mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) in Einklang steht.
- Verfahren verbessern: Die Bundesregierung sollte das Recht auf Familiennachzug effektiver gestalten. Dazu gehört eine Verbesserung und mehr Transparenz der Verfahren, insbesondere die Verkürzung von Wartezeiten an den Auslandsvertretungen und eine digitale Antragstellung, gerade dort, wo die Anreise zur zuständigen Auslandsvertretung Sicherheitsrisiken mit sich bringt. Ein transparenteres Verfahren und das Absehen von Sprachzertifikaten vor der Einreise kann auch die Behörden in Deutschland sowie die Auslandsvertretungen entlasten.
- Minderjährige Geschwister nicht zurücklassen: Das Nachzugsrecht sollte auch minderjährige Geschwister umfassen. Derzeit sind sie beim Familiennachzug mit hohen Hürden konfrontiert. Eine Anpassung der Regelungen würde sicherstellen, dass Familien nicht zwischen ihren Kindern wählen müssen und der Familiennachzug für alle erleichtert wird.
- Besonders schutzbedürftige Familien schützen: Für Familien mit besonders vulnerablen Mitgliedern, etwa mit einer Behinderung, stellen der Familiennachzug und andere sichere Zugangswege oft die einzige realistische Möglichkeit dar, gemeinsam Schutz zu finden. Eine Flucht über gefährliche Routen ist für sie in der Regel keine Option. Bei Menschen mit Behinderungen, besonders Kindern, müssen daher die besonderen Schutzgarantien der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Behindertenrechtskonvention ernst genommen und uneingeschränkt berücksichtigt werden (vgl. Art. 23 UN-KRK, Art. 7 UN-BRK).
Der Appell wurde initiiert von International Rescue Committee (IRC) Deutschland, Save the Children Deutschland und Terre des Hommes.
Mitzeichnende Organisationen
Amnesty International Deutschland e.V.
AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. AWO Bundesverband e.V.
BAfF e.V. (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer)
Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
Bundesfachverband Minderjährigkeit und Flucht (BuMF) e.V.
Der Paritätische Gesamtverband Deutscher Caritasverband e.V.
Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Diakonie Deutschland
Die Sputniks e.V. – Vereinigung russischsprachiger Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen in Deutschland
ECPAT Deutschland e.V.
Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V.
Handicap International e.V.
International Refugee Assistance Project (IRAP Europe)
JUMEN e.V. – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland
Kindernothilfe e.V.
KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Landesarbeitsgemeinschaft der AWO NRW
LIGA – Leininger Initiative Gegen Ausländerfeindlichkeit Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.
MINA – Leben in Vielfalt e.V.
Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention – National Coalition Deutschland Neue Richterinnenvereinigung (NRV)
Plan International Deutschland
PRO ASYL Bundesarbeitsgemeinschaft
Shahrzad e.V. – Verein für gehörlose Geflüchtete und Migrantinnen
Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
Zukunftsforum Familie e.V.