Berlin, 22. September 2025 — Während sich politische Entscheidungsträger*innen in New York zur Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGV) versammeln, ruft International Rescue Committee (IRC) zu entscheidendem Handeln angesichts der existenziellen Herausforderungen für die internationale Zusammenarbeit auf. Ziel von Reformen des multilateralen Systems müssen wirksame und transformative Lösungen für Menschen sein, die von Konflikten, Vertreibung und humanitären Krisen betroffen sind.
Zum 80. Jubiläum der Vereinten Nationen (UN) wird deutlicher denn je: Die Kluft zwischen den Zielen und der derzeitigen Erfolgsbilanz der Vereinten Nationen wird immer größer. Das multilaterale System steht unter enormem Druck. Politische Stillstände blockieren Entscheidungsprozesse und massive Finanzierungslücken schwächen die Umsetzungskraft - alles,während die Welt eine Rekordzahl an Konflikten erlebt. Dadurch verliert die UN zunehmend die Fähigkeit, auf genau jene Krisen zu reagieren, deren Verhinderung einst ihr Gründungsauftrag war. Allein 2024 blieben humanitäre UN-Hilfspläne mit über 21 Milliarden Euro massiv unterfinanziert. Mit den jüngsten Kürzungen großer Geberländer wie den USA und Deutschland droht diese Lücke noch weiter anzuwachsen – mit fatalen Folgen für Millionen Menschen in Not.
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin von IRC Deutschland, kommentiert: ,,Wir erleben Zeiten, in denen das multilaterale System immer weiter entkräftet wird durch das Handeln weniger, wichtiger Staaten - die Welt richtet die Augen auf Deutschland, ob dem etwas entgegengesetzt wird.
Gerade ist die UN-Generalversammlung das Herzstück des multilateralen Systems: der Ort, an dem globale Verantwortung geteilt, Prioritäten gesetzt und Vertrauen geschaffen wird. Die Generalversammlung darf nicht als Bühne missverstanden werden, sondern als Werkstatt begriffen werden: Hier wird nicht nur geredet, sondern gestaltet. Diesem Anspruch muss auch die Bundesregierung gerecht werden. Unser Bekenntnis zum multilateralen System darf nicht nur auf dem Papier stehen. Wer wieder im Sicherheitsrat vertreten sein will, muss bereit sein, sich auf allen Ebenen einzubringen – finanziell, politisch und konzeptionell.
Globale Verantwortung beginnt im Bundeshaushalt. Denn wer internationale Stabilität, Klimaschutz und humanitäre Hilfe einfordert, muss auch selbst dazu beitragen. Kürzungen bei Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und multilateralen Beiträgen untergraben nicht nur Deutschlands Glaubwürdigkeit - sie gefährden auch konkrete Fortschritte in Krisenprävention, globaler Gesundheit und Armutsbekämpfung.
Nach den drastischen Einschnitten im Haushalt 2025 muss der Haushalt 2026 ein klares Signal senden: Auf Deutschland kann die Welt sich weiterhin verlassen. Deutschland bringt echten Gestaltungsanspruch in der Reform der UN (UN80) und der Bewerbung um den Sitz im UN-Sicherheitsrat. Und Deutschland übernimmt Verantwortung angesichts der Lücken, die andere Geber hinterlassen haben. Verantwortung kostet mehr als Worte - und sie muss sich im Zahlenwerk widerspiegeln.“
David Miliband, Präsident und CEO von IRC, ergänzt: „Während die Generalversammlung tagt , wurden in Gaza und Sudan Hungersnöte bestätigt. Weltweit untergraben Angriffe auf die prinzipientreue humanitäre Hilfe massiv die Fähigkeit, den wachsenden Bedarf zu decken. Gleichzeitig zeigen die unter UN-Schirmherrschaft laufenden Konfliktlösungsbemühungen aktuell wenig Wirkung - und der UN-Sicherheitsrat bleibt gelähmt.
Politische Lösungen für Konflikte sind dringend notwendig, um langfristige Verbesserungen für betroffene Gemeinschaften zu erzielen. Zugleich zeigen zivilgesellschaftliche Organisationen wie IRC, dass es bereits wirksame Interventionen gibt, die im großen Maßstab eingesetzt werden können – selbst während Konflikte andauern.
Wir brauchen eine neue Ära der internationalen Hilfe – nicht allein gemessen an der Höhe der eingesammelten Mittel. Entscheidend ist, wo und wie diese Mittel eingesetzt, bereitgestellt und finanziert werden. Dafür braucht es politischen Willen ebenso wie das klare Bekenntnis zu transformativen Veränderungen.”
IRC teilt drei Forderungen für die Staats- und Regierungschef*innen bei der UN-Generalversammlung:
- Hilfe muss gezielt in Länder fließen, die am stärksten von Konflikten, Klimaschocks und Schuldenkrisen bedroht sind. Die Verteilung von Geldern der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sollte auf klaren, datenbasierten Analysen beruhen und zuerst jene erreichen, die am vulnerabelsten sind. Trotz ineffizienter multilateraler Systeme setzen NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen weiterhin innovative und kosteneffiziente Lösungen um1 – selbst in den schwierigsten Kontexten.
- Die Finanzierung von Auslandshilfe muss bewährte, kosteneffiziente und transformative Ansätze priorisieren. Dabei kann die UN eine Schlüsselrolle als Koordinatorin und Brückenbauerin zwischen öffentlichem und privatem Sektor übernehmen. Ein Beispiel dafür ist das REACH-Projekt von IRC in Partnerschaft mit der Impfstoffallianz GAVI: Mehr als 19 Millionen Impfdosen wurden an unterimmunisierte Kinder in die am schwersten zu erreichbaren Regionen Ostafrikas geliefert – durch einen lokalisierten Ansatz, der mit den Dynamiken von Konflikte arbeitet statt gegen sie2.
- Im Zentrum aller Bemühungen muss die Stärkung lokaler Organisationen stehen. Lokal bereitgestellte Hilfe ist zielgerichteter, wirksamer, oft kosteneffizienter – und besser an die Bedarfe betroffener Gemeinschaften angepasst. Um ihr volles Potenzial zu entfalten, muss das humanitäre System lokal geführte Akteure gezielt fördern und finanzieren. Nur so lassen sich dauerhafte Ergebnisse für Menschen in Krisen erzielen und gleichzeitig Grundlagen für nachhaltige Entwicklung schaffen.
Während sich die internationale Gemeinschaft zur UN-Generalversammlung versammelt, appelliert IRC an die Staats- und Regierungschef*innen, einen klaren Weg nach vorn zu skizzieren – einen Weg, der dem Ernst der Lage gerecht wird: nicht durch symbolische Reformen, sondern durch echte Veränderungen, getragen von Evidenz, Gerechtigkeit und Ambition.
1 Das derzeitige System zur Behandlung akuter Mangelernährung ist zwischen zwei UN-Agenturen aufgeteilt. In der Sahelzone und im Horn von Afrika behandelt IRC akute Mangelernährung auf Gemeindeebene. Dabei kommt ein vereinfachtes, integriertes Protokoll zum Einsatz, das die Behandlungskosten um bis zu 30 Prozent senkt. Dadurch könnten mit denselben Ressourcen Tausende, wenn nicht Millionen Kinder zusätzlich erreicht werden.
2 Dank dieser Unterstützung der Pfizer Stiftung konnte das Projekt sogar auf besonders schwer zugängliche Gebiete der Tigray-Region in Äthiopien ausgeweitet werden. Dieses Modell zeigt, wie die Zivilgesellschaft – gestützt durch die Koordinierungskraft der UN – lebenswichtige Ansätze im großen Umfang umsetzen kann, gerade für Gemeinschaften in sich verschärfenden humanitären Krisen.