Junge Geflüchtete stehen vor vielfältigen Herausforderungen, wenn sie in Deutschland ankommen – von bürokratischen Hürden über Unsicherheiten bezüglich ihrer Zukunft bis hin zur Bewältigung einer neuen Sprache und einem fremden Bildungssystem. Die räumliche Trennung von ihren Familien und das Verarbeiten schwieriger Erinnerungen aus der Vergangenheit machen diesen Neustart zusätzlich komplex. 

Durch das IRC-Projekt „Zwei mit Ziel“, ermöglicht die Klaus Tschira Stiftung, jungen Menschen mit Fluchterfahrung ein einjähriges Mentoring-Programm. Während dieser Zeit haben sie eine Mentorin oder einen Mentor an ihrer Seite, der ihnen nicht nur bei beruflichen, sondern auch bei persönlichen Zielen hilft.

Im Dezember 2023 haben wir Asmaa und Halmat in Mannheim getroffen. In diesem Artikel lernst du die beiden kennen und erfährst, wie sie durch ihre Mentor*innen auf ihrem Weg begleitet werden. 

Eine Frau steht mitten im Restaurant.
„Früher hat meine Mutter mich unterstützt. Aber als sie im letzten Jahr gestorben ist, habe ich auch eine große Hilfe verloren“, sagt Asmaa.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Asmaa und Charlotte

Asmaa ist 31 Jahre alt, stammt aus Damaskus in Syrien und floh 2014 nach Deutschland. In Syrien, erzählt sie, hat sie ein sehr erfülltes Leben geführt, bis der Krieg ausbrach und sie zur Flucht zwang. In Deutschland angekommen, war sie zuversichtlich, lernte schnell die Sprache und fand Freunde und Freundinnen, die ihr halfen, sich einzuleben, Deutsch zu lernen und die deutsche Kultur zu verstehen. 

Derzeit arbeitet Asmaa als Kellnerin in einem türkischen Restaurant in Mannheim. Bereits in Syrien hatte sie neben ihrem Studium Erfahrung im Kellnern gesammelt und im Kindergarten ihrer Mutter gearbeitet. Die Arbeit in der Gastronomie bereitet ihr viel Freude, sie sagt, dass das Kellnern dadurch fast wie ein Hobby für sie ist. Gleichzeitig träumt sie davon, ihr Studium in englischer Literatur fortzusetzen, das sie aufgrund des Krieges in Syrien abbrechen musste.  

Trotz ihrer Jahre in Deutschland empfindet Asmaa es als große Herausforderung, ausreichend Unterstützung für sich und ihren Sohn zu finden. In ihrer Mentorin Charlotte hat sie eine wertvolle Gesprächspartnerin gefunden. 

Eine Frau und Mann tragen Winterkleidung und sprechen miteinander.
Seit 2022 ist Asmaa Teil des Projekts „Zwei mit Ziel“. Nach einem Kennenlerngespräch mit dem Projektleiter Jan Hertel hat er ihr Charlotte als Mentorin vorgeschlagen. Diese Auswahl erwies sich als besonders passend, da die beiden sich bereits aus einem Theaterprojekt kannten. Das Mentoring-Programm ermöglichte es ihnen, eine Beziehung auf einer tieferen Ebene aufzubauen. Jetzt unterstützt Charlotte Asmaa bei der Bewerbung um Arbeit und ein Universitätsstudium, und sie ist stets für Asmaa da, wenn sie Rat benötigt.
Foto: Iuna Vieira/IRC

So finden Mentoring-Paare zusammen

Jan Hertel koordinierte das Projekt „Zwei mit Ziel“ seit dessen Start im Jahr 2021 und hat seitdem Dutzende von Mentoring-Paaren betreut. Während seiner Auszeit im Projektjahr 2023, hat Günseli Acar die Koordination übernommen. Als Projektkoordinator*innen bringen sie junge Geflüchtete, die neu in Deutschland sind, mit Mentor*innen aus der Region zusammen. Das Mentoring beschreibt Jan Hertel als einen sehr offenen Prozess:

„Mentee und Mentor*in kommen erst einmal miteinander in Kontakt, schaffen eine Vertrauensbasis, um darauf aufbauend gemeinsam Ziele zu formulieren.“ 

Für mich und meine Arbeit wünsche ich mir, dass wir als Gesellschaft in Deutschland erkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir haben jetzt die Möglichkeit, diesen Prozess gut zu gestalten – auf Menschen menschlich zu reagieren. Für alle, die hierherkommen und aus unterschiedlichsten Gründen einen Neuanfang suchen, wünsche ich mir, dass ihnen eine faire Chance geboten wird.

 

Ein Mann sitzt auf einer Couch und lächelt in die Kamera.
Jan Hertel ist IRC-Bildungsreferent im Kreis Rhein-Neckar und koordinierte das Mentoring-Projekt „Zwei mit Ziel“ in den ersten beiden Projektjahren.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Was brauchen Menschen, die nach Deutschland kommen?

Jan Hertel: „Ich denke, die entscheidendste Hilfe und Unterstützung für Menschen, die neu in Deutschland sind, besteht letztendlich in einem offenen Ohr, Anteilnahme und jemandem, der an sie glaubt. Es ist von großer Bedeutung, dass man nicht alleine an die eigenen Ziele glauben muss, sondern dass es andere gibt, die ebenfalls daran glauben, dass sie erreichbar sind. Erst dann entwickelt sich eine Beharrlichkeit, die auch mit Widerständen zurechtkommt.“ 

Ein Bild mit Papier das Text Klebezettel enthält.
„60 Prozent des Matching-Prozesses basieren auf meinem Bauchgefühl“, sagt Jan Hertel. Die restlichen 40 Prozent stützen sich auf gemeinsame Interessen, Eigenschaften und Ziele.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Bevor Jan Hertel sich für ein Matching entscheidet, nimmt er sich immer eine Stunde Zeit für einen individuellen Spaziergang mit den Mentoren und Mentees, um mehr über deren Ambitionen und Motivation zu erfahren. Asmaa und Charlotte teilen beispielsweise eine Leidenschaft für Literatur und Theater.  

Was war dein erster Eindruck von dem Projekt „Zwei mit Ziel“?

Asmaa: „Am Anfang war ich unsicher, wie das Mentoring überhaupt funktioniert, was ich erwarten kann und was von mir erwartet wird. Jetzt bin ich froh, dass ich mich getraut habe. Ich bin eher der nachdenkliche Typ und mache mir schnell Sorgen. Die Gespräche mit meiner Mentorin Charlotte helfen mir, ruhiger über Dinge nachzudenken und unterstützen mich dabei, Balance zu finden.“ 

An welchem gemeinsamen Ziel habt ihr zuletzt gearbeitet?  

Asmaa: „Zuletzt hat Charlotte mich bei meiner Bewerbung für eine Stelle als pädagogische Aushilfskraft in einer Kinder-Tageseinrichtung unterstützt. Leider habe ich die Stelle nicht bekommen. Aber die gesamte Bewerbungsphase hat mir geholfen, mein erstes Ziel – das ich seit meinem 16. Lebensjahr hatte – wieder ans Licht zu bringen und klarer zu definieren. Mein langfristiges Ziel war es immer, englische Literatur zu studieren, einen Master zu machen und dann als Dozentin oder Professorin an einer Universität zu arbeiten. Dieses Ziel verfolge ich jetzt wieder.“ 

Was brauchen junge Menschen, die in Deutschland ankommen?

Asmaa: „Was mir geholfen hat, als ich nach Deutschland kam, war, eine junge Frau im gleichen Alter kennenzulernen. Zusammen haben wir neue Orte entdeckt und gemeinsame Aktivitäten unternommen. Ich glaube, es ist wichtig für junge Leute, die neu in Deutschland sind, Gesellschaft zu haben, in der sie sich immer willkommen fühlen und gleichberechtigt sind.“ 

Halmat und Gundula

Zwei Personen sitzen auf einer Bank in einem Park.
Ein weiteres Mentor*innen-Paar bilden Halmat und Gundula. Gundula suchte nach einem Ehrenamt, erfuhr in einem Internet-Portal von dem Projekt „Zwei mit Ziel“ und wurde schließlich Halmats Mentorin.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Halmat, ein 25-jähriger kurdischer Mann aus dem Irak, lebt seit zwei Jahren in Mannheim. Im Irak hat er Germanistik studiert, was ihm bei seiner Ankunft in Deutschland sehr geholfen hat. Innerhalb von nur zwei Jahren hat er die deutsche Sprache fließend gelernt und unterstützt nun sogar andere Geflüchtete bei Behördengängen. Durch seine offene und proaktive Art ist er sehr gut sozial eingebunden und hat viele Freunde gefunden. 

Ich glaube, dass die größte Herausforderung für junge Menschen, die nach Deutschland kommen, die Sprache ist. Die Sprache ist der Schlüssel für viele Türen, und wenn man sie beherrscht, öffnen sich diese Türen mühelos.

 

Ein junger Mann steht auf einer Brücke am Fluss.
Halmats größter Wunsch ist es, in Deutschland zu bleiben und im nächsten Jahr endlich sein Studium beginnen zu können. Gleichzeitig sehnt er sich danach, seine Familie wiederzusehen.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Aktuell fürchtet Halmat vor allem eine mögliche Ausweisung. Mit einer Duldung lebt er in ständiger Unsicherheit. Sowohl er als auch seine Mentorin Gundula hoffen darauf, dass er bald einen Aufenthaltstitel erhalten wird. Halmat schildert einen beängstigenden Moment, in dem er große Angst hatte, ausgewiesen zu werden, und deshalb Gundula bat, ihn zur Ausländerbehörde zu begleiten:

„Der Termin war früh morgens und Gundula ist extra gekommen, was mich sehr unterstützt hat. Mein Ausweis wurde verlängert, ich habe meine Arbeitserlaubnis bekommen und konnte danach endlich meine Arbeit beginnen.“ Für die Zukunft wünscht sich Halmat, sein Studium so schnell wie möglich wieder aufnehmen zu können und denkt darüber nach, als Dolmetscher für andere Geflüchtete zu arbeiten.

Eine Frau und ein Mann unterhalten sich auf dem Weihnachtsmarkt.
Halmat und Gundula tauschen sich auf dem Weihnachtsmarkt über ihre Pläne und Traditionen für die bevorstehenden Feiertage aus.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Neben der Unterstützung bei bürokratischen Prozessen treffen sich Halmat und Gundula regelmäßig, um in Cafés zu gehen, im Park zu spazieren oder lokale Sehenswürdigkeiten wie den Weihnachtsmarkt zu besuchen. Auch Gundula findet, dass Mentoring ein großartiges Konzept ist, um junge Geflüchtete zu unterstützen, und betont, dass es auch eine wertvolle Erfahrung für die Mentor*innen darstellt. Sie berichtet:

„Halmat erzählt mir viel von seiner Heimat und seinen vier Geschwistern. Das finde ich total schön – eine Einsicht in seine Kultur und Heimat zu bekommen.“ 

Was brauchen junge Menschen, die in Deutschland ankommen?  

Gundula: „Wenn jemand allein nach Deutschland kommt und die Sprache nicht beherrscht, kann man sehr gut unterstützen, indem man bei Behördengängen dabei ist, das bürokratische Kauderwelsch übersetzt und beim Ausfüllen von Formularen hilft. Besonders für jüngere Menschen oder diejenigen, die die Sprache überhaupt nicht kennen, kann man hier viel Unterstützung bieten.“ 

Informationen zum Projekt „Zwei mit Ziel“ 

Das Projekt „Zwei mit Ziel“ wird seit Mai 2021 mit einer Laufzeit von drei Jahren von der Klaus Tschira Stiftung gefördert. In dieser Zeit wurden 24 Mentor*innen-Paare erfolgreich zusammengebracht. Zusätzlich werden regelmäßig Stammtische und Aktivitäten wie beispielsweise Ausflüge zur Bundesgartenschau (BUGA) oder zum Kletterwald in Speyer angeboten. Die Mentorinnen werden dabei durch Workshops, Austauschformate und Beratung von IRC unterstützt.

Logo der Klaus Tschira Stiftung
Klaus Tschira Stiftung

Das Projekt „Zwei mit Ziel“ wird mit Mitteln der Klaus Tschira Stiftung ermöglicht.