Berlin, 14. August 2025 — Am 15. August 2025 sind es bereits vier Jahre, dass die Taliban in Afghanistan als de-facto Autorität herrscht. Das Land erlebt weiterhin eine der größten humanitären Krisen weltweit: Fast die Hälfte der Bevölkerung – ca. 22,9 Millionen Menschen – ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die humanitäre Lage im Land bleibt prekär, besonders für Frauen und Mädchen.
Ursache für diese menschliche Not ist die tiefe sozio-ökonomische Krise in Afghanistan. Jahrzehntelanger Konflikt, wirtschaftlicher Zusammenbruch, die Auswirkungen der Klimakrise und Naturkatastrophen, wie schweren Erdbeben,,haben Millionen Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Trotz des enormen UN-Hilfsaufrufs in Höhe von ca. 2,2 Milliarden Euro ist weniger als 40 Prozent der Hilfe für 2025 finanziert1. Massive Einschränkungen für Frauen – darunter Arbeitsverbote, strikte Bewegungs- und Kleidungsvorschriften, erschwerter Zugang zu essentieller reproduktiver Gesundheitsversorgung sowie der Ausschluss von 1,5 Millionen Mädchen aus weiterführenden Schulen – verschärfen Hunger und Armut. Das Leben von Millionen Frauen und damit auch die Zukunft Afghanistans sind gefährdet. Die Lage spitzt sich weiter zu: In den vergangenen Monaten wurden mehr als 1,6 Millionen geflüchtete Afghan*innen zwangsweise aus den Nachbarländern nach Afghanistan zurückgeführt, wodurch die ohnehin dramatische Versorgungslage weiter verschärft wird.
Die Bundesregierung hat sich über verschiedene Programme – darunter das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) – zur Aufnahme besonders gefährdeter Afghan*innen verpflichtet. Auf ihre Ausreise nach Deutschland warten daher in Pakistan über 2.300 Afghan*innen mit gültiger Aufnahmezusage auf die Ausstellung eines Visums und Einreise nach Deutschland. Seit Sommer 2024 erteilt die Bundesregierung keine weiteren Aufnahmezusagen obwohl der Schutzbedarf weiter hoch ist. Die Überlegung der schwarz-roten Bundesregierung, freiwillige Aufnahmeprogramme ,,soweit möglich” zu beenden und die entsprechenden Haushaltsmittel drastisch zu kürzen, hat für die Betroffenen fatale Folgen: Unsicherheit und drohende Abschiebungen aus Pakistan, Perspektivlosigkeit und psychische Belastung.
IRC fordert die Bundesregierung auf:
- Erteilung von Visa für die sofortige Einreise aller Afghan*innen mit rechtsbindenden Aufnahmezusagen
- Gewährleistung von Sicherheit, Schutz vor Abschiebungen, Versorgung und Unterbringung für Afghan*innen in Pakistan, die auf die Einreise warten
- Aufstockung statt Kürzung der Mittel für humanitäre Hilfe2 und Übergangshilfe3 im Bundeshaushalt 2025 und 2026
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin IRC Deutschland, kommentiert:
„Wer international verlässlicher Partner sein will, muss seine Zusagen einhalten. Deutschland hat sich völkerrechtlich und moralisch verpflichtet, afghanischen Menschen in Not zu helfen. Diese Verpflichtung gilt fort auch vier Jahre nach dem Machtwechsel der Taliban. Humanitäre Aufnahmeprogramme dürfen nicht innenpolitischem Kalkül oder wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden. Der Schutz besonders gefährdeter Menschen muss an erster Stelle stehen.
Afghanistan darf nicht in Vergessenheit geraten. Die Haushaltskürzungen von Mitteln für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sind angesichts der fortgesetzten menschlichen Not vor Ort ein fatales Signal.Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, ihr humanitäres Engagement nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auszuweiten. Dazu gehört insbesondere die verantwortungsvolle Abwicklung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan – dem einzigen sicheren, legalen Fluchtweg für viele gefährdete Afghan*innen – und eine entsprechende Bereitstellung finanzieller Mittel, um ihren sicheren Zwischenaufenthalt in Pakistan und die Einreise nach Deutschland zu gewährleisten. Deutschland muss seine rechtlichen Verpflichtungen den Afghan*innen gegenüber einhalten, sonst bricht Deutschland mit humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen.
Humanität darf nicht an politischen Grenzen enden. Es braucht klare Taten – nicht nur Worte.“
1https://www.unocha.org/afghanistan
2Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt
3 Einzelplan 23 – Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung