Eine aktuelle Erhebung von International Rescue Committee (IRC) in Gaza verdeutlicht den dramatischen Zusammenbruch der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern infolge der vollständigen Blockade humanitärer Hilfe durch Israel. Zwar wurde in dieser Woche eine begrenzte Menge an Hilfsgütern zugelassen, doch angesichts des enormen Bedarfs ist das kaum mehr als ein symbolisches Signal. Nahrungsmittel, sauberes Trinkwasser, Treibstoff und medizinische Versorgung sind nahezu vollständig erschöpft. Bäckereien und Gemeinschaftsküchen haben den Betrieb eingestellt und auch viele Krankenhäuser stehen kurz vor dem Kollaps.

Eine im April 2025 durchgeführte Befragung von über 250 Haushalten in Deir al-Balah, Gaza-Stadt und Nord-Gaza zeigt:

Der jüngste Bericht der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) zeigt, dass die gesamte Bevölkerung Gazas inzwischen unter akuter Ernährungsunsicherheit leidet. Rund 500.000 Menschen – etwa jede*r Fünfte – sind akut vom Hungertod bedroht.

Während die Vorräte an überlebensnotwendigen Gütern zur Neige gehen, beobachten mobile IRC-Gesundheitsteams – in Zusammenarbeit mit dem IRC-Partner Juzoor for Health & Development – einen drastischen Anstieg von akuter und schwerer Mangelernährung bei Kindern. Die Fallzahlen haben sich allein im vergangenen Monat verdoppelt. IRC-Mitarbeitende vor Ort berichten von Familien, die sich ein Stück Brot teilen müssen, und Kindern, die regelmäßig hungrig schlafen gehen.

Mohammed Mansour, IRC Senior Nutrition Manager im besetzten palästinensischen Gebiet, erklärt: „In Gaza ist Hunger Alltag. Wenn überhaupt noch Mehl zu finden ist, ist es oft verdorben. Obst und Gemüse gibt es kaum noch. Wir wachen mit leerem Magen auf – in der Hoffnung auf Nahrung – und finden nur Leere. Die wenigen verfügbaren Lebensmittel bieten kaum Nährwert. Besonders betroffen sind die Kinder. Die Anzahl an unter- bzw. mangelernährter Menschen steigt unaufhörlich.“

Vor dem Hintergrund dieser sich weiter verschärfenden Krise hat die israelische Regierung am 5. Mai 2025 Pläne verabschiedet, das bislang von den Vereinten Nationen geführte System zur humanitären Hilfsverteilung in Gaza durch ein neues, vollständig von Israel kontrolliertes Modell zu ersetzen. Demnach sollen Hilfsgüter künftig ausschließlich an streng überwachten Verteilstellen innerhalb Gazas ausgegeben werden – und zwar nur an vorab genehmigte palästinensische Empfänger*innen. Die Verteilung soll über private Dienstleister oder bereitstehende NGOs erfolgen.

IRC teilt die ernsthaften Bedenken der Vereinten Nationen und weiterer humanitärer Organisationen. Die Umsetzung dieser Pläne könnte zur Massenvertreibung der Zivilbevölkerung führen, insbesondere gefährdete Gruppen wie Menschen mit Behinderungen vom Zugang zu Hilfe ausschließen und eine bedarfsgerechte, unabhängige humanitäre Hilfe faktisch unmöglich machen.

Zoe Daniels, IRC-Landesdirektorin für das besetzte palästinensische Gebiet, warnt: „Sollten diese Pläne Realität werden, verlieren wir die Möglichkeit, die am stärksten betroffenen Menschen zu erreichen – darunter jene, die durch Kampfhandlungen isoliert sind, Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Behinderungen. Humanitäre Hilfe besteht nicht nur aus der Verteilung von Gütern – sie erfordert umfassende Dienstleistungen. Für die wirksame Behandlung von Mangelernährung reicht es nicht allein, therapeutische Nahrungsmittel zu verteilen. Es braucht medizinische Versorgung, Aufklärung und Nachsorge. 

Bislang konnten IRC und unsere Partnerorganisationen im Rahmen von Ernährungsprogrammen über 24.000 Kinder in Gaza erreichen und mehr als 180.000 Menschen insgesamt unterstützen. Unter den geplanten Bedingungen wäre das nicht mehr möglich.“

IRC steht für eine prinzipiengeleitete humanitäre Hilfe – unparteiisch, unabhängig und neutral. Diese Prinzipien sind entscheidend, um den Zugang zu betroffenen Menschen zu erhalten und das nötige Vertrauen für langfristige Unterstützung aufzubauen. Wir rufen Geberstaaten und einflussreiche Akteur*innen dazu auf, die geplanten Maßnahmen abzulehnen. Die israelischen Behörden sollten gemeinsam mit humanitären Organisationen eine Lösung erarbeiten, die eine unabhängige und bedarfsgerechte Hilfe in der notwendigen Geschwindigkeit und Reichweite ermöglicht.

Um die humanitäre Hilfe auszuweiten und Zivilist*innen in Gaza wirksam zu schützen, fordert IRC weiterhin:

Als Besatzungsmacht ist Israel völkerrechtlich verpflichtet, humanitäre Hilfe zu ermöglichen und humanitären Zugang sicherzustellen.