Der Juni ist Pride-Monat, in dem die Rechte der LGBTQ+-Gemeinschaft in Deutschland und auf der ganzen Welt gefeiert werden. Erfahre in diesem Artikel mehr über die Stonewall Riots von 1969, bei denen queere Menschen in New York City gegen Polizeirazzien in Schwulenbars protestierten und Gerechtigkeit und gleiche Rechte forderten.

Trotz der Fortschritte der letzten Jahrzehnte gibt es immer noch viele Orte, an denen LGBTQ+-Gemeinschaften aufgrund ihrer Identität Belästigung und Gewalt ausgesetzt sind.

Lateinamerika bleibt einer der gefährlichsten Orte für LGBTQ+-Gemeinschaften. Viele Menschen haben Gewalt erlebt, nachdem sie von ihren Familien abgelehnt wurden oder gezwungen waren, ihr Zuhause zu verlassen. Queere Personen sind auch Opfer von geschlechtsbasierter Gewalt und Erpressung durch Banden und andere bewaffnete Gruppen, die zahlreiche Länder in der Region heimsuchen. Besonders Transfrauen sind gefährdet - in der gesamten Region liegt die durchschnittliche Lebenserwartung für sie bei gerade einmal 35 Jahren.

Für queere Personen in ganz Lateinamerika ist es entscheidend, sichere Räume zu finden, in denen sie sich frei entfalten und in einer willkommenen Umgebung sie selbst sein können. Hier stellen wir dir vier außergewöhnliche Menschen vor, die Verfolgung entkommen sind, um an einem neuen Ort frei zu leben.

Anas Geschichte

Ana steht mit dem Gesicht zur Kamera
Foto: Andrés Brenner | Meanwhile Productions/IRC

Ana ist eine 42-jährige alleinerziehende Mutter aus Zentralamerika, die im März 2022 alles riskierte, um ihre Kinder - Bryan, 18, und Yeshua, 15 - zu schützen, die sich als LGBTQ+ identifizieren.

„In meinem Heimatland gibt es viel Machismo und Gewalt”, erzählt Ana. „Queere Menschen nehmen sich oft das Leben, weil sie nicht sie selbst sein können und weil ihre eigenen Eltern sich schämen... Der Vater meiner Söhne hat uns deshalb verlassen, weil er nicht so einen Sohn haben wollte.”  

Die Entscheidung, wegzugehen, war nicht leicht. Im letzten Moment sagte Bryan seiner Mutter, er habe Angst vor der Reise und wolle bleiben. Mit gemischten Gefühlen und in der Hoffnung, dass sie bald wieder zusammenkommen würden, machten sich Ana und Jeschua widerwillig alleine auf den Weg nach Mexiko. Sie kamen in einer Stadt gleich hinter der Grenze zu Guatemala an und begannen dort, sich ein neues Leben aufzubauen. 

„Ich liebe meine Söhne”, sagt Anna. Sie wurden mir von Gott geschenkt, daher werde ich sie so lieben, wie sie sind und ich bin stolz darauf, wer sie sind. Und ich unterstütze sie, wo immer sie hingehen wollen.”

Ich liebe meine Söhne. Sie wurden mir von Gott geschenkt, daher werde ich sie so lieben, wie sie sind und ich bin stolz darauf, wer sie sind.

Yeshua, der auf TikTok fleißig Inhalte erstellt, möchte Make-up-Künstler und Friseur werden - eine Arbeit, die in seiner Heimatstadt, wo er schikaniert und ausgegrenzt wurde, unmöglich gewesen wäre. 

„Ich habe gesehen, dass es hier in Mexiko viele Möglichkeiten gibt”, sagt Yeshua. „Ich fühle mich gut, bin erleichtert und glücklich - ich brauche nur noch Bryan, um mich besser zu fühlen.”

Ana hält ihr Handy in die Kamera.
Ana hält ein Foto von sich und ihren beiden Söhnen hoch. „Meine Hoffnungen für die Zukunft sind die Wiedervereinigung mit meinem Sohn und das Gefühl von innerer Ruhe. Ich hoffe, dass meine Kinder in diesem Land immer akzeptiert werden”, sagt sie.
Foto: Andrés Brenner | Meanwhile Productions/IRC

Ana lernte IRC zum ersten Mal in einer Unterkunft kennen, wo wir verschiedene Leistungen anbieten, einschließlich psychosozialer und finanzieller Unterstützung. Dort helfen IRC-Psycholog*innen Asylsuchenden mit Traumata und Schwierigkeiten umzugehen. 

„Für mich ist ein sicherer Ort, ein Ort, an dem meine Söhne nicht diskriminiert werden - wo sie sich als Menschen entfalten können und herausfinden können, was sie wollen.”

Giannas Geschichte

Gianna steht mit dem Rücken zur Kamera
Foto: Paul Ratje/IRC

Als Gianna 25 Jahre alt war, verließ sie ihre Heimatstadt in Mittelamerika, nachdem sie aufgrund ihrer Identität als Transfrau diskriminiert worden war. Als Krankenschwester kümmerte sie sich um private Kund*innen. Das öffentliche Gesundheitssystem wollte sie aufgrund ihrer Identität nicht einstellen. Gianna wurde diskriminiert und erhielt sogar Morddrohungen von Banden. Gianna erkannte, dass ihre einzige Chance darin bestand, in den Vereinigten Staaten Asyl zu beantragen.

Leider strandete sie aufgrund von Covid-19, in einem „Triage-Hotel” in Ciudad Juarez, das von IRC und anderen Organisationen unterstützt wurde, die während der Quarantänezeit Lebensmittel und Dienstleistungen bereitstellten. Als die Pandemie nachließ, blieben Gianna und andere Transfrauen in Asylunterkünften, hatten jedoch Schwierigkeiten, sich wohl und sicher zu fühlen.

Aus diesen Erfahrungen heraus entstand etwas Positives: Im September 2020 gründeten Gianna und sieben weitere Frauen das „Casa de Colores”, einen Zufluchtsort, der von und für LGBTQ+-Migrant*innen geschaffen wurde.

„Was uns motivierte, war der Schutz und die Hilfe für andere Mädchen, die in sich in einer verwundbaren Lage befanden”, sagt Gianna, die darauf hinweist, dass zeitweise mehr als 40 Menschen Schutz in einem verlassenen Gebäude gesucht hatten.  

„Casa de Colores könnte man als zweite Familie bezeichnen. Wir helfen uns alle gegenseitig, niemand ist unbeschützt”, erklärt Gianna. „Wenn eine von uns krank ist, versucht die andere, ihr zu helfen; wenn Essen benötigt wird, finden wir Wege, diesen Bedarf zu decken.” 

Wir helfen uns alle gegenseitig, niemand ist unbeschützt. Wenn eine von uns krank ist, versucht die andere, ihr zu helfen; wenn Essen benötigt wird, finden wir Wege, diesen Bedarf zu decken.

IRC unterstützte die Bewohner*innen mit Geldleistungen in Form von Debitkarten. So konnten sie grundlegende Bedürfnisse wie Kleidung, Transport und Medizin decken. „Der Vorteil der elektronischen Karte ist, dass wir wissen, was wir brauchen, und wir entscheiden, wie wir es verwenden”, sagt Gianna. 

Schließlich gelang es Gianna Anfang Mai 2021 sicher in die USA zu gelangen, um dort Asyl zu beantragen.

Dennis’ Geschichte

Dennis steht neben seinem Verkaufsstand.
Foto: Vivian Pavón/IRC

Dennis, ein 41-jähriger Mann aus Honduras, stand als queere Person mit Behinderung vor verschiedenen Herausforderungen. Als er gerade einmal sechs Monate alt war, begann er, sein Augenlicht zu verlieren. Um Blindheit zu verhindern, unterzog er sich einer Behandlung. 

Jeden Morgen wacht Dennis auf und fährt in die Innenstadt, wo er auf der Straße Elektronikartikel und andere Waren verkauft, angefangen von Fernbedienungen und Batterien bis hin zu orthopädischen Hilfsmitteln. „Hier ist es schwierig, einen Job zu finden, besonders wenn man über 35 ist und mit einer Behinderung lebt”, sagt er. Sein Verdienst ist die einzige Einkommensquelle sowohl für seine Mutter als auch für ihn selbst. 

Mithilfe des IRC-Soforthilfeprogramms konnte Dennis jedoch seine Grundbedürfnisse decken und das Warensortiment für seine Kund*innen erweitern.  

„Ich musste nachhaltig überlegen, [wie ich die finanzielle Unterstützung sinnvoll nutzen konnte]”, erinnert sich Dennis. „Ich habe einen Teil davon in Waren investiert und dadurch mein Geschäft ausbauen können.”

Dennis chats with IRC staff Jessica besides his sales booth.
Dennis unterhält sich mit IRC-Mitarbeiterin Jessica neben seinem Verkaufsstand in seiner Heimatstadt. Mithilfe der Unterstützung von IRC konnte er das Sortiment der Waren erweitern, die er seinen Kunden anbietet.
Foto: Vivian Pavón/IRC

Neben seiner Arbeit als Straßenhändler engagiert sich Dennis seit langem als Aktivist innerhalb der LGBTQ+-Gemeinschaft in seiner Stadt. Seit über 20 Jahren ist er ehrenamtlich bei der Asociación Colectivo Violeta tätig, einer Partnerorganisation des IRC, die sich für die Rechte und die Förderung der queeren Gemeinschaft in Honduras einsetzt. 

Als Aktivist*in an einem so gefährlichen Ort zu sein, ist äußerst riskant. Während er die Risiken für Sexarbeiter*innen innerhalb der LGBTQ+-Gemeinschaft auf den Grund ging, wurde Dennis angegriffen. Er überlebte den versuchten Mord. 

Trotz dieser unerbittlichen Herausforderungen hat Dennis Hoffnungen und Träume für die Zukunft. „Ich wünsche mir, gesund zu sein, damit ich eine Hornhauttransplantation erhalten kann”, sagt er. „Ich möchte weiterarbeiten, um ein stabileres Unternehmen aufzubauen und ein persönliches Projekt zu entwickeln, das den Menschen mit Behinderungen in Honduras gewidmet sein soll.” 

Loraynes Geschichte

Lorayne schaut in die Kamera.
Foto: Everardo Esquivel/IRC

Lorayne wuchs in einer kleinen Stadt in der Region Santander in Kolumbien auf, wo, wie sie sagt, „die Menschen gut leben, aber an sehr konservative Normen gebunden sind”. Als Mitglied der LGBTQ+-Gemeinschaft erlebte sie Vorurteile und fühlte sich unsicher. 

„Ich liebe es, in Kolumbien zu sein. Ich liebe meine Leute, aber ich wollte nicht länger so leben, mit dieser Angst.” 

Dann lernte Lorayne jemanden im Internet kennen. Ihre Beziehung wurde inniger. Sie besuchten sich abwechselnd bei kurzen Reisen und sparten monatelang, um diese finanzieren zu können. Nach zwei Jahren Fernbeziehung entschied sich das Paar, nach Mexiko zu ziehen. „So konnten wir heiraten”, erklärt Lorayne.

Der Umzug von einer kleinen Stadt nach Mexiko-Stadt war eine enorme Veränderung für Lorayne. Sie hatte Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Schließlich wurde sie als Assistentin für Grafikdesign eingestellt und setzte damit ehrgeizigere Karriereziele in Gang: Während der Pandemie gründeten sie und ihre Frau ein Unternehmen, das Geschenkboxen ausliefert. 

„Schon seit meiner Kindheit habe ich immer davon geträumt, etwas Eigenes zu haben”, sagt Lorayne. „Ich hatte viele Ideen, durfte sie aber aufgrund meiner Lebensumstände nie verwirklichen.” 

Als sie von Resilient Futures erfuhr, einem Programm von IRC und der Citi Foundation, zur Unterstützung von Geflüchteten, Asylsuchenden und Migrant*innen in Mexiko, meldete sich Lorayne an. Sie erhielt Schulungen, Mentoring und finanzielle Unterstützung. Dadurch konnte sie in ihr Unternehmen investieren und ihren Geschäftsplan umsetzen.

Seit Lorayne vor sechs Jahren nach Mexiko-Stadt gezogen ist, hat sich vieles verändert. Sie hat sich in ihrem neuen Zuhause eingelebt und hofft, ihr Unternehmen weiter auszubauen und neue unternehmerische Ideen zu entwickeln.

Wie IRC hilft

IRC ist stolz darauf, LGBTQ+-Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu unterstützen und sich für ihre Rechte einzusetzen. In Lateinamerika unterstützen unsere Programme Einzelpersonen und Familien, die Gewalt und Vertreibung erlebt haben. Wir bieten sowohl Soforthilfe als auch langfristige finanzielle Unterstützung, um Geschäftspläne zu fördern und Träume für die Zukunft zu verwirklichen. Darüber hinaus stellen wir sichere Räume zur Verfügung, in denen Menschen Leistungen wie psychosoziale Unterstützung und rechtliche Orientierung erhalten können. Wir bieten auch Jugendunterstützung, digitale Informationsdienste und Sicherheitspakete an.