Berlin, 17. Juli 2025 — Obwohl weltweit immer mehr Menschen auf Schutz angewiesen sind, kommt Deutschland bei der humanitären Aufnahme und im Resettlement – der dauerhaften Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Menschen – seiner internationalen Verantwortung nicht nach. Dies zeigt der heute veröffentlichte Policybericht „Sicher Ankommen in Deutschland – Wie humanitäre Aufnahmeprogramme gelingen können“ von International Rescue Committee (IRC) Deutschland. Der Bericht zeigt auf Basis welcher erprobten Programme, Gesetzesgrundlagen und Politikansätzen wie sichere und legale Zugangswege für Schutzsuchende ausgebaut und umgesetzt werden können – ergänzend zu den rechtlich garantierten Schutzstandards für Asylsuchende.
2025 sind laut UNHCR rund 2,9 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Aufnahme und Resettlement angewiesen, da eine dauerhafte Aufnahme in den Erstaufnahmeländern nicht möglich ist. Doch das globale Engagement nimmt ab: Während sich Regierungen im Jahr 2024 noch dazu verpflichteten, 195.000 Plätze in Resettlementprogrammen bereitzustellen, sind es 2025 nur noch 31.000 – ein Rückgang um 84 Prozent innerhalb eines Jahres. Auch aufgrund des auf unbestimmte Zeit pausierten US-Resettlementprogramms sind damit nur rund 8 Prozent des weltweiten Resettlement-Bedarfs gedeckt. Die internationale Gemeinschaft entzieht sich ihrer Verantwortung und überlässt Nachbarstaaten – wo rund 69 Prozent aller Geflüchteten weltweit leben - die Bewältigung globaler Fluchtbewegungen.
Deutschland hat die Chance, eine Vorreiterrolle in globaler Solidarität zu übernehmen – doch zögert die Bundesregierung und droht, diese Verantwortung ungenutzt zu lassen. Bislang wurde jährlich im Rahmen des bundesweiten Resettlementprogramms ein Kontingent besonders schutzbedürftiger Geflüchteter dauerhaft in Deutschland aufgenommen. Für 2024 und 2025 bot Deutschland 24.000 Plätzen für humanitäre Aufnahme an und stellte mit 6.560 Plätzen sogar das größte Kontingent im EU-Resettlementprogramm1. Doch statt an die bestehenden Erfolge anzuknüpfen, bleibt die konkrete Umsetzung der Zusagen im EU-Rahmen jedoch ungewiss.
Gleichzeitig sind alle Landesaufnahmeprogramme, über die Bundesländer in der Vergangenheit Aufnahmeplätze für besonders gefährdete Personen geschaffen haben, derzeit ausgesetzt. Zudem erteilt das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) seit Sommer 2024 keine Aufnahmezusagen mehr. Seit Oktober 2022 nur 1.262 Menschen tatsächlich eingereist. Dabei sind Programme wie das BAP manchmal die einzige Möglichkeit für Geflüchtete, in Sicherheit zu geraten. Eine IRC-Klientin, die über das Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (BAP) nach Deutschland eingereist ist, teilte mit, „Ich kam in einem sehr kalten Land an. […] Ich atmete tief ein, denn ich fühlte das erste Mal Freiheit.“
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin IRC Deutschland, erklärt: „Humanitäre Aufnahmeprogramme sind keine Wohltätigkeit und keine migrationspolitische Verhandlungsmasse. Diese Programme schaffen sichere Zufluchtswege – und leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag zur internationalen Verantwortung Deutschlands gegenüber besonders schutzbedürftigen Menschen.
Wer sich zu internationalen Schutzverantwortung bekennt, muss diese konsequent einhalten. Aussetzungen oder Verzögerungen von Aufnahmeprogrammen gefährden Menschenleben und untergraben Deutschlands Glaubwürdigkeit als verlässlicher und rechtsstaatlicher Partner im multilateralen System.
Humanitäre Aufnahmeprogramme sind eine notwendige und komplementäre Ergänzung zum Asylsystem. Ihre Umsetzung baut auf erprobten Instrumenten, Rechtsgrundlagen und genügend Expertise – nicht das Können fehlt, sondern der Wille. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung und dem Rückzug wichtiger Partner aus der internationalen Gemeinschaft braucht es ein klares Bekenntnis der Bundesregierung: zu humanitärer Verantwortung, für Rechtsstaatlichkeit und internationaler Solidarität.“
Um humanitäre Aufnahme menschenwürdig und verantwortungsvoll umzusetzen, fordert IRC:
- Verbindliche Fortführung und Ausbau sicherer Zugangswege: Humanitäre Aufnahmeprogramme, Resettlement und Community Sponsoring müssen mit ausreichend Ressourcen und klaren Standards dauerhaft, verlässlich und planbar etabliert werden, sodass sie politisch unabhängig Planungssicherheit für Schutzsuchende und aufnehmende Kommunen gewährleisten.
- Schutzbedarf als zentrales Kriterium: Humanitäre Aufnahmeprogramme dürfen nicht durch politische Opportunitäten oder wirtschaftliche Interessen verzerrt werden, sondern müssen den besonderen Schutzbedarf der Menschen als zentrales Kriterium haben. Dazu gehört eine umfassende und schutzorientierte Auslegung des Familienbegriffs, insbesondere im Interesse von Kindern und unbegleiteten Minderjährigen.
- Transparente, faire Verfahren, als Ergänzung zum territorialen Asyl: Aufnahmeverfahren müssen transparent, fair und rechtskonform gestaltet sein und Schutzsuchenden den Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln ermöglichen. Besonders für Menschen mit Behinderungen, gesundheitlichen Einschränkungen oder Diskriminierungserfahrungen sind barrierefreie und inklusive Verfahren von besonderer Bedeutung, um sie während des Verfahrens vor zusätzlichen Risiken zu schützen.
1 Diese waren für die Aufnahme von Geflüchteten aus den Herkunftsländern Afghanistan, Syrien, Irak, Sudan, Südsudan, Somalia, Jemen und Eritrea vorgesehen, die sich derzeit in Ägypten, Jordanien, Kenia, Libanon, Libyen und Pakistan aufhalten. Zusätzlich sollten im Rahmen des Programms auch schutzbedürftige Personen aus der Türkei aufgenommen werden, um die EU-Türkei-Erklärung von 2016 nachzukommen.
Hier finden Sie den IRC-Policybericht sowie den IRC-Evalutionsbericht.
Sicher Ankommen Projekt:
Das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Projekt „Sicher Ankommen – Humanitäre Aufnahme zukunftsfähig ausbauen“ unterstützt Schutzsuchende aus dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan und anderen humanitären Zugangswegen durch Fall- und Ankommensbegleitung. Gleichzeitig setzt es sich auf Bundesebene für bessere Rahmenbedingungen humanitärer Aufnahme ein – unter anderem durch Advocacyarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und den Austausch mit Entscheidungsträger*innen. Ziel ist es, humanitäre Aufnahmeprogramme in Deutschland zu verstetigen und ihre Umsetzung durch transparente Kriterien und effiziente Verfahren zu verbessern.